Der Beitrag des Buddhismus zum Weltfrieden
von Dagyab Kyabgön Rinpoche
Vortrag 1986 in Wien anläßlich der Internationalen Weltfriedenskonferenz
Dagyab Kyabgün Rinpoche ist Tibeter und Lehrer des tibetischen Buddhismus. Er lebt heute in Bonn, spricht fließend Deutsch und war geistiges und weltliches Oberhaupt der Provinz Dagyab in Osttibet, muß aber seit 20 Jahren im Exil leben. Er leitet das CHÖDZONG, Buddhistisches Zentrum Langenfeld. Der Vortrag wurde von ihm gehalten in Vertretung und im Auftrag S.H. des Dalai Lama und wurde veröffentlich in der Ausgabe 4/5 1988 der "Lotosblätter", der Zeitschrift der deutschen buddhistischen Union (DBU). Der Vortrag wurde hier mit Zwischenüberschriften und einigen wenigen, in Klammern gesetzten Ergänzungen versehen.
Fast allwöchentlich erfahren wir durch die Presse von Kongressen und Konferenzen, die sich mit dem Thema des Weltfriedens beschäftigen. Das ist auch kein Wunder. Gewalt und Aggression haben auf der Erde in einem Maß zugenommen, daß wir uns mit Recht um den Fortbestand der Menschheit Sorgen machen müssen. Gewalt und Aggression nicht nur in Form von Kriegen und Terroranschlägen sondern vor allem auch in unserem scheinbar ganz normalen Alltagsleben: Gewalt gegen die Natur, gegen Tiere, gegen Kinder, strukturelle Gewalt in Institutionen und Beziehungen, Aggressionen im Denken, Reden und Handeln, Mensch gegen Mensch, Frau gegen Mann, Jung gegen Alt, Arm gegen Reich, Verein gegen Verein, Ideologie gegen Ideologie, Rasse gegen Rasse, Nation gegen Nation. Es ist fast ein Wunder, daß die Welt noch existiert. Aber wie existiert sie? Wohin wir sehen, finden wir Probleme. Kein Bereich des Zusammenlebens der Gemeinschaft ist mehr frei davon.
Antwort durch die Religionen?
Die sogenannte Erste Edle Wahrheit des Buddhismus lautet "Leben ist Leiden". Sie scheint mit den Jahrhunderten immer aktueller zu werden. Dabei wollen doch alle Menschen nichts anderes als glücklich sein. Und sie investieren alle Energie ihres Lebens in unendlich viele Versuche, das Glück zu erreichen und festzuhalten. Aber nichts funktioniert auf die Dauer. Wenn wir hinausgehen und die Menschen auf der Straße fragen würden, ob sie glücklich sind wieviele würden wohl ohne Einschränkung mit Ja antworten? Die einzelnen Menschen sind ganz gewiß nicht glücklich. Und was nun die unterschiedlichen Gruppierungen angeht, von der Familie bis zur Gemeinschaft aller Völker, so sind wir an einem Punkt angelangt, wo wir uns in Kongressen Gedanken darüber machen müssen, ob die Menschheit eine Überlebenschance hat.
Wenn aber nun die Menschen nichts anderes wollen als glücklich sein, warum ist dann alles so schiefgegangen? Gibt es eine Möglichkeit, alles wieder in Ordnung zu bringen, und wenn ja, wie macht man es? Fragen dieser Art werden an die Wissenschaftler und Politiker, an die Philosophen und die Vertreter der Religionen immer drängender gestellt. Seine Heiligkeit der Dalai Lama hat in den letzten Jahren nirgendwo ein Publikum angetroffen, daß ihn nicht zuallererst mit diesen Fragen konfrontiert hätte. Natürlich sind die Religionen in dieser kritischen Zeit ganz besonders herausgefordert, Erklärungen zu liefern und Wege aufzuzeigen. Schließlich haben sie sich selbst jahrtausendelang als diejenigen präsentiert, die die Menschen in einen heilsameren Zustand führen können.
Und in der Tat sind die Religionen von ihrem Ansatz her gut geeignet, in der gegenwärtigen Krise Hilfsmittel bereitzustellen und zwar bessere als zum Beispiel politische Methoden. Denn alle großen Religionen streben nach Veränderung und Verbesserung der Lebenssituation jedes einzelnen Menschen und der ganzen Gemeinschaft. Die Methoden sollen dabei so gewählt sein, daß eine Veränderung von innen nach außen, gewaltfrei und undogmatisch möglich wird. Die Betonung des Geistigen spielt dabei eine wichtige Rolle, wie wir später noch sehen werden. Ferner liefern die Religionen ein im wesentlichen übereinstimmendes moralisches Fundament und fordern den Einzelnen auf, die engen Grenzen seiner EgoZentriertheit zu überwinden. Somit erfüllen sie alle Bedingungen, den Menschen zu helfen und zwar hier und jetzt, nicht irgendwann nach dem Tode.
Bevor wir aber den Beitrag der Religionen am Beispiel des Buddhismus näher betrachten, müssen wir uns fragen: Was ist eigentlich dieser Friede, nach dem sich alle so sehr sehnen und der so schwer zu finden ist? In der menschlichen Geschichte scheint Frieden immer nur die Phase zwischen zwei Kriegen gewesen zu sein. Gibt es überhaupt so etwas wie dauerhaften Frieden? Und wenn ja, nur für einzelne Heilige oder für die ganze Menschheit? Gibt es Frieden nur innen und ist äußerer Frieden eine Utopie? Kann man ihn erzwingen? Kann er auf dem Papier hergestellt werden? Sind die Menschen überhaupt fähig dazu? Gehört im Westen der Frieden überhaupt zu den kulturellen Werten oder gilt bei uns nur das Recht des Jungen, Starken, Cleveren? Was haben wir in den letzten Jahrzehnten für den Frieden getan, außer Lippenbekenntnisse zu formulieren? Was sind die Vorraussetzungen für die Entwicklung von Frieden? Wo liegen die Hindernisse?
Um diese Fragen zu beantworten, will ich nun etwas tiefer in die buddhistische Theorie einsteigen. Wie ihnen wahrscheinlich allen bekannt ist, ist der Buddhismus keine Religion im engeren Sinn, sondern ein System von Erklärungen und Techniken zur Beseitigung von Leiden. Dabei wird so vorgegangen: Erst wird das Leiden festgestellt, dann werden die Ursachen analysiert, dann wird erklärt, wie man die Ursachen beseitigen und damit dem Leiden den Nährboden entziehen kann. Auf unser FriedensThema angewendet heißt das: Was sind die Ursachen von Unfrieden und wie kann man sie beheben?
Die Ursachen des Unfriedens
Die Ursachen des Unfriedens und jeder anderen Art von Leiden liegen in der Funktionsweise des menschlichen Geistes. Wir leben in einer grundlegenden Unwissenheit über die Art und Weise, in der wir selbst und das gesamte Universum existieren. Durch diese grundlegende Unwissenheit nehmen wir uns selbst als vom Rest der Welt getrennte Einheit wahr und entwickeln das Konzept eines Ich, eines konkreten Ego. Daß dieses konkrete Ego ein Phantom ist, stört uns dabei nicht, denn wir glauben einfach ganz fest daran. In diesem Glauben unterstützt uns unsere ganze Wahrnehmung durch unsere Sinnesorgane, weil wir uns unser ganzes Leben lang darin trainiert haben, nur das wahrzunehmen, woran wir ohnehin glauben. Nun wissen wir aber auch, daß unser Ego durch alle möglichen Veränderungen bedroht werden kann. Davor müssen wir uns schützen. Also entwickeln wir ein Verfahren, mit dem wir alles, was uns begegnet, blitzschnell sortieren und bewerten können und zwar nach den Kategorien 1. "Egostabilisierend also angenehm", 2. "Egobedrohend, also unangenehm und 3. Neutral. Nach dem Angenehmen greifen wir und versuchen, es festzuhalten. Das Unangenehme versuchen wir wegzuschieben oder zu vernichten. In diesem Spannungsverhältnis verbringen wir unser ganzes Leben. Und dabei denken wir, wir seien Herr/Frau unserer freien Entscheidung! Dieses Greifen nach Angenehmem und Vermeiden von Unangenehmem ist übrigens nicht nur ein geistiger Impuls. Durch ständige zwanghafte Wiederholung beherrscht es ebenfalls unser Reden und Handeln. Wir häufen Besitz an, bauen hohe Mauern, schließen uns mit Gleichgesinnten zu Blöcken zusammen und bauen Feindbilder auf. Daß das alles der Stabilisierung des Ego und der Überwindung unserer grundlegenden Angst und Unsicherheit dient, ist uns dabei nicht bewußt. Deshalb spricht der Buddhismus von den drei grundlegenden geistigen Giften: Gier (Habenwollen), Haß (Nichthabenwollen) und Verblendung (Unwissenheit).
Sie sehen schon, daß es zwischen den Verhaltensweisen und Strategien eines einzelnen Menschen und der ganzen Gemeinschaft keinen wesentlichen Unterschied gibt. Einzelne Menschen versuchen, ihr Ego zu schützen. Gruppen jeder Größe versuchen, ihr Gruppenego zu schützen. Einzelne bilden Gruppen, um sich sicherer zu fühlen. Die Motive, Verhaltensweisen und Ergebnisse sind dieselben. Nur wird es mit zunehmender Größe einer Gruppe immer schwieriger, diese Problematik zu erkennen, weil alle Elemente einer Gruppe sich gegenseitig in ihren Strategien bestätigen. Außerdem kommt noch eine gewisse Starrheit oder Trägheit hinzu, die durch die große Anzahl bedingt ist.
Nun wäre ja an den Strategien zur Stabilisierung des Ego und zur Erlangung von Glück eigentlich nichts Schlechtes, wenn sie funktionieren würden. Aber laut buddhistischer Lehre funktionieren sie eben nicht. Sie können gar nicht funktionieren. Warum nicht? Führen wir uns nochmal vor Augen: Das Greifen nach dem Angenehmen und das Wegschieben des Unangenehmen basieren auf der Unsicherheit des Ego, das sich selbst getrennt von der Welt wahrnimmt. Diese Wahrnehmung wiederum basiert auf einer grundlegenden Unwissenheit. Solange diese Situation besteht, wird das Greifen nicht aufhören. Mit anderen Worten: das Greifen nach dem Angenehmen, das Wegschieben von Unangenehmem wird niemals von selbst aufhören. Keine dauernde Befriedigung kann jemals erreicht werden solange die Wurzel des Greifens fortbesteht. Das Greifen ist ein endloser Prozess, nur die Objekte wechseln. Wenn aber das Greifen nach Objekten niemals endet, die Objekte selbst aber begrenzt sind, können Sie sich leicht vorstellen, wie die Interessen der Individuen aufeinanderprallen. Im Extremfall kann dadurch der Lebensraum für alle Wesen zerstört werden dabei wollten doch alle möglichst gut leben. Sie haben mit ihren falschen Methoden genau das Gegenteil von dem erreicht, was sie eigentlich wollten. Und nicht nur das. Durch diese fortgesetzten Wiederholungen im Denken, Reden und Handeln werden ständig neue Eindrücke von Gier, Haß und Verblendung im Geist angelagert. Aufgrund des Gesetzes von Ursache und Wirkung, Karma genannt, entsteht dadurch sozusagen eine Tendenz, sich immer wieder gleiche Situationen zu schaffen. Somit hört dieses Elend niemals von selbst auf, im Gegenteil, es verstärkt sich immer mehr. Unsere einzige Chance liegt darin, diesen Prozeß zu erkennen und große Anstrengungen zu unternehmen, um ihn zu beenden. Diese Anstrengung kann uns niemand abnehmen, aber auf der anderen Seite ist jeder Mensch in der Lage, selbst einen solchen Weg zu gehen.
Möglichkeiten für Veränderung
Was führt nun im Leben eines einzelnen Menschen dazu, daß er eine Veränderung anstrebt? Die Antwort lautet meist: Der Leidensdruck. Wenn ein Mensch der Erkenntnis nicht mehr ausweichen kann, daß alle seine Bemühungen ihm nicht das ersehnte Glück sondern immer noch mehr Leiden gebracht haben, wird er vielleicht versuchen, die Ursachen dafür zu finden. Im günstigsten Fall sucht er sie bei sich selbst, das ist die Ausgangsbasis für eine Veränderung. Im Buddhismus heißt es, durch das Abschneiden der Ursachen wird auch das Leiden beendet. Dafür gibt es nun verschiedene Wege. Man kann durch Selbstdisziplin lernen, alle unheilsamen Handlungen, die durch Gier, Haß und Verblendung motiviert sind, zu unterlassen. Dann schafft man keine negativen Eindrücke mehr im Geist, und im Lauf der Zeit kann man sich so aus dem Leiden herausarbeiten. Diese Methode ist sehr sicher und einfach, sie dauert aber lange. Eventuell kann man die Schubkraft der eigenen Bemühungen dadurch verstärken, daß man sie dem Wohl der anderen Lebewesen widmet. Wenn das mit großem Mitgefühl einhergeht, ist es sehr wirkungsvoll. Der kürzeste Weg liegt darin, die grundlegende Unwissenheit, die zur falschen Wahrnehmung eines konkreten Ego führt, zu beenden und damit die Wurzel aller Greifakte abzuschneiden. Das ist ein gewissermaßen mystischer Weg, der eine intensive meditative Schulung erfordert. In der Regel wird man (im Buddhismus) alle drei Methoden miteinander kombinieren die Gewichtung erfolgt durch den jeweiligen Lehrer, individuell angepaßt an die Aufnahmefähigkeit des einzelnen Schülers.
Wenn wir nun versuchen, diese Methoden auf eine ganze Gesellschaft zu übertragen, um so die Wurzel des Unfriedens abzuschneiden und Frieden möglich zu machen, stehen wir vor verschiedenen Problemen.
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Vortrag 1986 in Wien anläßlich der Internationalen Weltfriedenskonferenz
Dagyab Kyabgün Rinpoche ist Tibeter und Lehrer des tibetischen Buddhismus. Er lebt heute in Bonn, spricht fließend Deutsch und war geistiges und weltliches Oberhaupt der Provinz Dagyab in Osttibet, muß aber seit 20 Jahren im Exil leben. Er leitet das CHÖDZONG, Buddhistisches Zentrum Langenfeld. Der Vortrag wurde von ihm gehalten in Vertretung und im Auftrag S.H. des Dalai Lama und wurde veröffentlich in der Ausgabe 4/5 1988 der "Lotosblätter", der Zeitschrift der deutschen buddhistischen Union (DBU). Der Vortrag wurde hier mit Zwischenüberschriften und einigen wenigen, in Klammern gesetzten Ergänzungen versehen.
Fast allwöchentlich erfahren wir durch die Presse von Kongressen und Konferenzen, die sich mit dem Thema des Weltfriedens beschäftigen. Das ist auch kein Wunder. Gewalt und Aggression haben auf der Erde in einem Maß zugenommen, daß wir uns mit Recht um den Fortbestand der Menschheit Sorgen machen müssen. Gewalt und Aggression nicht nur in Form von Kriegen und Terroranschlägen sondern vor allem auch in unserem scheinbar ganz normalen Alltagsleben: Gewalt gegen die Natur, gegen Tiere, gegen Kinder, strukturelle Gewalt in Institutionen und Beziehungen, Aggressionen im Denken, Reden und Handeln, Mensch gegen Mensch, Frau gegen Mann, Jung gegen Alt, Arm gegen Reich, Verein gegen Verein, Ideologie gegen Ideologie, Rasse gegen Rasse, Nation gegen Nation. Es ist fast ein Wunder, daß die Welt noch existiert. Aber wie existiert sie? Wohin wir sehen, finden wir Probleme. Kein Bereich des Zusammenlebens der Gemeinschaft ist mehr frei davon.
Antwort durch die Religionen?
Die sogenannte Erste Edle Wahrheit des Buddhismus lautet "Leben ist Leiden". Sie scheint mit den Jahrhunderten immer aktueller zu werden. Dabei wollen doch alle Menschen nichts anderes als glücklich sein. Und sie investieren alle Energie ihres Lebens in unendlich viele Versuche, das Glück zu erreichen und festzuhalten. Aber nichts funktioniert auf die Dauer. Wenn wir hinausgehen und die Menschen auf der Straße fragen würden, ob sie glücklich sind wieviele würden wohl ohne Einschränkung mit Ja antworten? Die einzelnen Menschen sind ganz gewiß nicht glücklich. Und was nun die unterschiedlichen Gruppierungen angeht, von der Familie bis zur Gemeinschaft aller Völker, so sind wir an einem Punkt angelangt, wo wir uns in Kongressen Gedanken darüber machen müssen, ob die Menschheit eine Überlebenschance hat.
Wenn aber nun die Menschen nichts anderes wollen als glücklich sein, warum ist dann alles so schiefgegangen? Gibt es eine Möglichkeit, alles wieder in Ordnung zu bringen, und wenn ja, wie macht man es? Fragen dieser Art werden an die Wissenschaftler und Politiker, an die Philosophen und die Vertreter der Religionen immer drängender gestellt. Seine Heiligkeit der Dalai Lama hat in den letzten Jahren nirgendwo ein Publikum angetroffen, daß ihn nicht zuallererst mit diesen Fragen konfrontiert hätte. Natürlich sind die Religionen in dieser kritischen Zeit ganz besonders herausgefordert, Erklärungen zu liefern und Wege aufzuzeigen. Schließlich haben sie sich selbst jahrtausendelang als diejenigen präsentiert, die die Menschen in einen heilsameren Zustand führen können.
Und in der Tat sind die Religionen von ihrem Ansatz her gut geeignet, in der gegenwärtigen Krise Hilfsmittel bereitzustellen und zwar bessere als zum Beispiel politische Methoden. Denn alle großen Religionen streben nach Veränderung und Verbesserung der Lebenssituation jedes einzelnen Menschen und der ganzen Gemeinschaft. Die Methoden sollen dabei so gewählt sein, daß eine Veränderung von innen nach außen, gewaltfrei und undogmatisch möglich wird. Die Betonung des Geistigen spielt dabei eine wichtige Rolle, wie wir später noch sehen werden. Ferner liefern die Religionen ein im wesentlichen übereinstimmendes moralisches Fundament und fordern den Einzelnen auf, die engen Grenzen seiner EgoZentriertheit zu überwinden. Somit erfüllen sie alle Bedingungen, den Menschen zu helfen und zwar hier und jetzt, nicht irgendwann nach dem Tode.
Bevor wir aber den Beitrag der Religionen am Beispiel des Buddhismus näher betrachten, müssen wir uns fragen: Was ist eigentlich dieser Friede, nach dem sich alle so sehr sehnen und der so schwer zu finden ist? In der menschlichen Geschichte scheint Frieden immer nur die Phase zwischen zwei Kriegen gewesen zu sein. Gibt es überhaupt so etwas wie dauerhaften Frieden? Und wenn ja, nur für einzelne Heilige oder für die ganze Menschheit? Gibt es Frieden nur innen und ist äußerer Frieden eine Utopie? Kann man ihn erzwingen? Kann er auf dem Papier hergestellt werden? Sind die Menschen überhaupt fähig dazu? Gehört im Westen der Frieden überhaupt zu den kulturellen Werten oder gilt bei uns nur das Recht des Jungen, Starken, Cleveren? Was haben wir in den letzten Jahrzehnten für den Frieden getan, außer Lippenbekenntnisse zu formulieren? Was sind die Vorraussetzungen für die Entwicklung von Frieden? Wo liegen die Hindernisse?
Um diese Fragen zu beantworten, will ich nun etwas tiefer in die buddhistische Theorie einsteigen. Wie ihnen wahrscheinlich allen bekannt ist, ist der Buddhismus keine Religion im engeren Sinn, sondern ein System von Erklärungen und Techniken zur Beseitigung von Leiden. Dabei wird so vorgegangen: Erst wird das Leiden festgestellt, dann werden die Ursachen analysiert, dann wird erklärt, wie man die Ursachen beseitigen und damit dem Leiden den Nährboden entziehen kann. Auf unser FriedensThema angewendet heißt das: Was sind die Ursachen von Unfrieden und wie kann man sie beheben?
Die Ursachen des Unfriedens
Die Ursachen des Unfriedens und jeder anderen Art von Leiden liegen in der Funktionsweise des menschlichen Geistes. Wir leben in einer grundlegenden Unwissenheit über die Art und Weise, in der wir selbst und das gesamte Universum existieren. Durch diese grundlegende Unwissenheit nehmen wir uns selbst als vom Rest der Welt getrennte Einheit wahr und entwickeln das Konzept eines Ich, eines konkreten Ego. Daß dieses konkrete Ego ein Phantom ist, stört uns dabei nicht, denn wir glauben einfach ganz fest daran. In diesem Glauben unterstützt uns unsere ganze Wahrnehmung durch unsere Sinnesorgane, weil wir uns unser ganzes Leben lang darin trainiert haben, nur das wahrzunehmen, woran wir ohnehin glauben. Nun wissen wir aber auch, daß unser Ego durch alle möglichen Veränderungen bedroht werden kann. Davor müssen wir uns schützen. Also entwickeln wir ein Verfahren, mit dem wir alles, was uns begegnet, blitzschnell sortieren und bewerten können und zwar nach den Kategorien 1. "Egostabilisierend also angenehm", 2. "Egobedrohend, also unangenehm und 3. Neutral. Nach dem Angenehmen greifen wir und versuchen, es festzuhalten. Das Unangenehme versuchen wir wegzuschieben oder zu vernichten. In diesem Spannungsverhältnis verbringen wir unser ganzes Leben. Und dabei denken wir, wir seien Herr/Frau unserer freien Entscheidung! Dieses Greifen nach Angenehmem und Vermeiden von Unangenehmem ist übrigens nicht nur ein geistiger Impuls. Durch ständige zwanghafte Wiederholung beherrscht es ebenfalls unser Reden und Handeln. Wir häufen Besitz an, bauen hohe Mauern, schließen uns mit Gleichgesinnten zu Blöcken zusammen und bauen Feindbilder auf. Daß das alles der Stabilisierung des Ego und der Überwindung unserer grundlegenden Angst und Unsicherheit dient, ist uns dabei nicht bewußt. Deshalb spricht der Buddhismus von den drei grundlegenden geistigen Giften: Gier (Habenwollen), Haß (Nichthabenwollen) und Verblendung (Unwissenheit).
Sie sehen schon, daß es zwischen den Verhaltensweisen und Strategien eines einzelnen Menschen und der ganzen Gemeinschaft keinen wesentlichen Unterschied gibt. Einzelne Menschen versuchen, ihr Ego zu schützen. Gruppen jeder Größe versuchen, ihr Gruppenego zu schützen. Einzelne bilden Gruppen, um sich sicherer zu fühlen. Die Motive, Verhaltensweisen und Ergebnisse sind dieselben. Nur wird es mit zunehmender Größe einer Gruppe immer schwieriger, diese Problematik zu erkennen, weil alle Elemente einer Gruppe sich gegenseitig in ihren Strategien bestätigen. Außerdem kommt noch eine gewisse Starrheit oder Trägheit hinzu, die durch die große Anzahl bedingt ist.
Nun wäre ja an den Strategien zur Stabilisierung des Ego und zur Erlangung von Glück eigentlich nichts Schlechtes, wenn sie funktionieren würden. Aber laut buddhistischer Lehre funktionieren sie eben nicht. Sie können gar nicht funktionieren. Warum nicht? Führen wir uns nochmal vor Augen: Das Greifen nach dem Angenehmen und das Wegschieben des Unangenehmen basieren auf der Unsicherheit des Ego, das sich selbst getrennt von der Welt wahrnimmt. Diese Wahrnehmung wiederum basiert auf einer grundlegenden Unwissenheit. Solange diese Situation besteht, wird das Greifen nicht aufhören. Mit anderen Worten: das Greifen nach dem Angenehmen, das Wegschieben von Unangenehmem wird niemals von selbst aufhören. Keine dauernde Befriedigung kann jemals erreicht werden solange die Wurzel des Greifens fortbesteht. Das Greifen ist ein endloser Prozess, nur die Objekte wechseln. Wenn aber das Greifen nach Objekten niemals endet, die Objekte selbst aber begrenzt sind, können Sie sich leicht vorstellen, wie die Interessen der Individuen aufeinanderprallen. Im Extremfall kann dadurch der Lebensraum für alle Wesen zerstört werden dabei wollten doch alle möglichst gut leben. Sie haben mit ihren falschen Methoden genau das Gegenteil von dem erreicht, was sie eigentlich wollten. Und nicht nur das. Durch diese fortgesetzten Wiederholungen im Denken, Reden und Handeln werden ständig neue Eindrücke von Gier, Haß und Verblendung im Geist angelagert. Aufgrund des Gesetzes von Ursache und Wirkung, Karma genannt, entsteht dadurch sozusagen eine Tendenz, sich immer wieder gleiche Situationen zu schaffen. Somit hört dieses Elend niemals von selbst auf, im Gegenteil, es verstärkt sich immer mehr. Unsere einzige Chance liegt darin, diesen Prozeß zu erkennen und große Anstrengungen zu unternehmen, um ihn zu beenden. Diese Anstrengung kann uns niemand abnehmen, aber auf der anderen Seite ist jeder Mensch in der Lage, selbst einen solchen Weg zu gehen.
Möglichkeiten für Veränderung
Was führt nun im Leben eines einzelnen Menschen dazu, daß er eine Veränderung anstrebt? Die Antwort lautet meist: Der Leidensdruck. Wenn ein Mensch der Erkenntnis nicht mehr ausweichen kann, daß alle seine Bemühungen ihm nicht das ersehnte Glück sondern immer noch mehr Leiden gebracht haben, wird er vielleicht versuchen, die Ursachen dafür zu finden. Im günstigsten Fall sucht er sie bei sich selbst, das ist die Ausgangsbasis für eine Veränderung. Im Buddhismus heißt es, durch das Abschneiden der Ursachen wird auch das Leiden beendet. Dafür gibt es nun verschiedene Wege. Man kann durch Selbstdisziplin lernen, alle unheilsamen Handlungen, die durch Gier, Haß und Verblendung motiviert sind, zu unterlassen. Dann schafft man keine negativen Eindrücke mehr im Geist, und im Lauf der Zeit kann man sich so aus dem Leiden herausarbeiten. Diese Methode ist sehr sicher und einfach, sie dauert aber lange. Eventuell kann man die Schubkraft der eigenen Bemühungen dadurch verstärken, daß man sie dem Wohl der anderen Lebewesen widmet. Wenn das mit großem Mitgefühl einhergeht, ist es sehr wirkungsvoll. Der kürzeste Weg liegt darin, die grundlegende Unwissenheit, die zur falschen Wahrnehmung eines konkreten Ego führt, zu beenden und damit die Wurzel aller Greifakte abzuschneiden. Das ist ein gewissermaßen mystischer Weg, der eine intensive meditative Schulung erfordert. In der Regel wird man (im Buddhismus) alle drei Methoden miteinander kombinieren die Gewichtung erfolgt durch den jeweiligen Lehrer, individuell angepaßt an die Aufnahmefähigkeit des einzelnen Schülers.
Wenn wir nun versuchen, diese Methoden auf eine ganze Gesellschaft zu übertragen, um so die Wurzel des Unfriedens abzuschneiden und Frieden möglich zu machen, stehen wir vor verschiedenen Problemen.
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