Der Griff ins Leere
Buddha und der Schutz unserer Umwelt
von Franz-Johannes Litsch
Der Buddhismus gilt gemeinhin als naturfreundlich und umweltbewusst. Bäume zum Beispiel spielten im Leben des Buddha eine beträchtliche Rolle. Unter einem Baum wurde Siddhattha Gotama (Schreibweise auf Pali) geboren, unter einem Baum erlangte er Erwachen und wurde er zum Buddha, unter einem Baum ist er gestorben. Unter Bäumen haben sich die Mönche, Nonnen und Laien versammelt, haben Lehrreden zugehört, debattiert oder sich zur Meditation niedergelassen. Nicht Tempel und Klöster, sondern Haine und Parks waren zu Buddhas Zeit die Aufenthalte der Sangha während der Regenperiode. Dort errichteten sie leichte Hütten, die danach wieder abgebaut wurden. Zu den Ordensregeln (Vinaya) für buddhistische Mönche und Nonnen gehört es, keine Bäume zu fällen, ja nicht einmal Äste abzusägen, sondern nur auf dem Boden liegendes Holz aufzusammeln. Auch soll der Boden nicht aufgerissen oder gepflügt werden, um keine Kleinstlebewesen zu schädigen. Wasser empfiehlt der Buddha sparsam zu verbrauchen und es zuvor durch ein Netz zu filtern. Tiere nicht zu töten oder zu quälen, gehört zu den Grundübungen buddhistischer Ethik.
Davon inspiriert hat der buddhistische Kaiser Ashoka in Indien schon im 3. Jh.v.Chr. Gesetze zum Tierschutz erlassen, das Nichttöten von Rindern – die in der vedischen Religion wichtige Opfertiere waren – durchgesetzt und die vegetarische Ernährung empfohlen. Indien profitiert davon noch heute. Auch in Sri Lanka und Tibet gab es schon vor Jahrhunderten Tierschutzgesetze. Als der Buddhismus von Indien nach China kam, hat er einen tiefgreifenden Wandel in der Medizin bewirkt, indem er die dort übliche Verwendung tierischer Substanzen als Heilmittel durch Kräutermedizin ersetzte. In Verbindung mit dem Daoismus entstanden im Chan-Buddhismus vielfache Wege und Formen faszinierend naturnaher Kunst. In der Tuschmalerei, der Poesie, der Musik und der Gartengestaltung ging es darum, der Buddhanatur im Stein, Bambus oder Vogel nahezukommen. Japanische Gartenbaukunst, Architektur, Keramik, Blumensteckkunst, Grafik und Materialverwendung haben mit ihrer konzentrierten Natürlichkeit im 19. und 20. Jahrhundert entscheidende Anregungen für die Entstehung der modernen westlichen Architektur und Kunst gegeben.
Buddhisten für ökologische Verantwortung
Als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die von der industriellen Gierwirtschaft verursachte Plünderung der Natur und Umweltzerstörung immer deutlicher, aber dennoch kaum wahrgenommen wurde, war es der amerikanische Beat-Dichter und frühe Zen-Mönch Gary Snyder, der als einer der Ersten in Texten und Aktionen auf die drohende ökologische Katastrophe hinwies. Seine Heiligkeit der Dalai Lama hat ebenfalls früh vor der Umweltkrise gewarnt. Im Jahre 1992 nahm er bei der ersten Umweltkonferenz der UN in Rio de Janeiro teil und stellte seine Sicht unter dem Titel „Unsere universelle Verantwortung“ vor. Ein Jahr später lud er zu der weltweiten Konferenz „Ökologische Verantwortung – ein Dialog mit dem Buddhismus“ in die indische Hauptstadt Neu-Delhi ein. Bedeutende buddhistische Lehrer und Wissenschaftler waren anwesend. Gemeinsam verabschiedeten die Teilnehmer einen öffentlichen Aufruf „Für unsere ökologische Verantwortlichkeit“.
Der vietnamesische Mahayana-Lehrer Thich Nhat Hanh hat in den 80er-Jahren in den USA mehrere große Retreats mit engagierten Umweltschützern durchgeführt und dabei tiefgründige buddhistische Sichtweisen zu Umweltfragen vorgestellt. Joanna Macy, eine bekannte amerikanische Wissenschaftlerin, Buddhistin und Umweltschützerin bot Ermutigungskurse für Umweltaktivisten an und führte mit ihnen direkte Aktionen, unter anderem gegen Atommülllager, durch. Theravada-Mönche in Thailand setzten sich in vielfältigen, aufsehenerregenden Aktionen – wie der Mönchsordination großer Bäume – für den Erhalt des tropischen Urwalds und damit den Ort ihrer meditativen Praxis ein. Österreichische, deutsche und Schweizer Buddhisten organisierten in den 90er-Jahren Aktionen gegen Massentierhaltung und Schlachthäuser oder absolvierten in ihnen, wie die Peacemaker-Gemeinschaft, sogar Retreats.
2002 nahmen Vertreter der DBU an einem vom damaligen deutschen Umweltminister initiierten Gespräch aller großen Religionen in Deutschland teil, in dem mit seiner Beteiligung eine gemeinsame Antwort auf die bevorstehende globale Klimaveränderung besprochen und beschlossen werden sollte. Das Vorhaben scheiterte daran, dass der Vertreter einer großen Religion die Tatsache der Klimaveränderung nicht wahrhaben wollte. Nur zwei Jahre später war das Phänomen mit seinen verheerenden Folgen fast auf der ganzen Welt von Laien, Politikern und Wissenschaftlern anerkannt. Inzwischen lässt sich nicht mehr leugnen, dass die Menschheit im 21. Jahrhundert mit katastrophalen Zerstörungen und Veränderungen ihrer natürlichen Lebensbedingungen konfrontiert sein wird – Folgen unserer naturmissachtenden Lebens- und Wirtschaftsweise, die das Überleben der Menschheit oder zumindest großer Teile von ihr infrage stellt. Der 17. Karmapa Urgyen Trinley Dorje macht in letzter Zeit durch besorgte und engagierte Beiträge über die Bedeutung des Umweltschutzes für die Zukunft der Welt und des Dharma von sich reden.2
Mensch und Natur in Indien und Griechenland
Trotz all dieser positiven Beispiele lässt sich nicht übersehen, dass unter der Mehrheit der Buddhisten sowohl hier in Europa wie in Asien das Umweltengagement, ja das Interesse an der Erhaltung unserer natürlichen Lebengrundlagen sehr gering ist. Und tatsächlich, liest man die Lehren des Buddhismus, so ist es hier mit dem Umweltschutz oder, wie die Christen es nennen, der „Bewahrung der Schöpfung“ nicht so einfach und deutlich. Denn wörtlich und vordergründig betrachtet, scheint Natur- oder Umweltschutz in der Lehre des Buddha nicht vorzukommen. Daher glauben etliche Buchstabengläubige, die Probleme auch nicht sehen oder ernst nehmen zu müssen.
In der Welt des Buddha, also in Nordindien vor 2 500 Jahren, war die Natur nicht durch den Menschen bedroht, sondern sahen sich die Menschen umgekehrt von der Natur bedroht, zumal die nordindische Gangesebene damals noch weitgehend von dichtem Dschungel bedeckt war, voller gefährlicher Tiere, Krankheiten bringender Insekten und alles überwuchernder Pflanzen. Nicht die Natur sondern der Mensch musste geschützt werden. Dennoch, und bereits das ist bemerkenswert, finden sich beim Buddha und im ganzen Buddhismus keinerlei naturfeindliche Äußerungen oder Haltungen, wie sie sehr deutlich zur gleichen Zeit im antiken Mittelmeerraum und später im Christentum zu finden sind. Sätze wie „Macht euch die Erde untertan“ oder gar die Ansicht, dass die Welt oder die Natur böse und sündig sei, das Werk des Teufels oder zumindest von ihm verdorben, gab es in Indien nie.
Der Buddha hat die Welt und die Natur nicht bewertet, sondern nahm sie schlicht als die dem Menschen gegebenen Bedingungen, zu denen er selber – wie auch die Tiere – gehört. Der Mensch steht nicht gegen die Natur und nicht über ihr, sondern ist ein untrennbarer Teil von ihr. Das wird schon daran deutlich, dass es unseren Begriff „Natur“ sowohl im Sanskrit als auch im Pali nicht gibt. Ebenso wenig findet sich dort der Begriff, aus dem der Naturbegriff des Abendlands als Gegensatz hervorgegangen ist: die Kultur. Sie ist – gemäß abendländischem Denken – die vom Menschen bearbeitete, geordnete, angeeignete, nutzbar gemachte, verbesserte, „zivilisierte“ Natur. Für den griechischen Philosophen Aristoteles war das Verhältnis des Menschen zur Natur zu sehen, wie das des Herren zum Sklaven. Der Prozess der Kultivierung ist demnach ein Akt der Unterwerfung. Er beginnt mit dem Ackerbau, dem „Kultivieren“ des Bodens und endet heute beim Menschen selber, bei dessen künstlicher Herstellung und technischer Perfektionierung (vom Bodybuilding über die Gentechnik bis zum Robotermenschen). Zivilisation und Entwicklung heißt bei uns heute, Natur durch Technik zu ersetzen.
Die Ökologie der Wirklichkeit
Für den Buddha ist der Mensch Teil des alles umfassenden, miteinander vernetzten, einander bedingenden, sich wechselseitig hervorbringenden, gegenseitig enthaltenden, prozesshaften Geschehens der Wirklichkeit, das er in seiner allgemeinsten Form „Paccayata“, „Bedingtheit“, in seiner auf den unerwachten Menschen hin betrachteten, in zwölf Aspekten beschriebenen Form „Paticca Samuppada “, „bedingtes Zusammenentstehen“, nennt. Paticca Samuppada hat den Charakter eines Kreislaufs. In Indien nannte man das Samsara, wir nennen es gelegentlich Teufelskreis oder Hamsterrad. Das heißt, wir schaffen durch unser Denken, Wahrnehmen und Handeln ständig unsere eigenen Bedingungen des Denkens, Wahrnehmens und Handelns. Wir schaffen zirkulär uns selbst und unsere Wirklichkeit. Und zwar dadurch, dass wir, von Unwissenheit (Avijja) und Verlangen (Tanha) getrieben, versuchen, uns selbst und die Wirklichkeit zu ergreifen (Upadana), anzueignen und zu verewigen. Wir wollen uns und alles andere in den Griff bekommen, die Welt beherrschen und uns selbst verabsolutieren. Kurz gesagt, der Buddha erkannte bereits das, was im 19. Jahrhundert auch dem deutschen Philosophen Nietzsche aufging: Das menschliche Dasein ist geprägt vom „Willen zur Macht“. Während Nietzsche dies jedoch bejahte – in Übereinstimmung mit seiner von der Weltbeherrschung beherrschten Zeit –, sah Buddha darin die grundlegende Illusion und Wurzel allen Leids.
Er erkannte nämlich, dass alles natürliche und menschliche Geschehen von drei Grundmerkmalen (Tilakkhana) geprägt ist: „Anicca“ (Unbeständigkeit), „Dukkha“ (Nichtgenügen) und „Anatta“ (Nichtsubstanzhaftigkeit). Die spätere philosophische Entwicklung des Buddhismus nannte all das zusammen „Sunyata“– (Leerheit oder Offenheit). Das heißt: Nichts im ganzen Universum können wir letztlich ergreifen, festhalten, uns aneignen, in Besitz nehmen, verdinglichen, zu uns selbst machen. Was auch immer vermeintlich substanzhaft ist – alles, was wir in unseren Griff und Begriff nehmen wollen, entgleitet uns letztlich. Illusion veranlasst uns zum Greifen, wir greifen ins Leere, die Folge ist Leiden.
Dies gilt vor allem für die Beziehung der modernen Zivilisation zur Natur und Welt. Mit riesigem wissenschaftlichen, technischen, wirtschaftlichen und politischen Aufwand versuchen wir seit rund 500 Jahren die Natur zu berechnen, zu kontrollieren, zu steuern, uns zu eigen zu machen, auszurauben, zu verbessern und durch Technik zu ersetzen – mit dem Ergebnis, dass zwar einige Dinge bequemer, praktischer, schneller, leichter, größer, mächtiger geworden sind, doch unsere Natur und Kultur immer mehr in die Katastrophe geraten und schließlich nichts mehr beherrschbar wird. Der Siegeszug der modernen Technik und Ökonomie beruht auf der Nichtbeachtung des Paticca Samuppada, auf der Trennung der Dinge von ihrem Zusammenhang, dem Absehen von der dynamischen wechselseitigen Bezogenheit aller Phänomene, dem Ignorieren der Ökologie der Wirklichkeit. Dies hat uns in bestimmten Bereichen Macht gegeben. Die ignorierte Folge und Kehrseite sind zwangsläufig eintretende technische und wirtschaftliche Katastrophen, denen wir dann ohnmächtig gegenüberstehen.
Rettung durch Nichtbeherrschen
Wir müssen gründlich Abschied nehmen von der giergetriebenen Unterwerfung der Natur, die diese zerstört oder ins Chaos treibt. Je mehr wir versuchen, die Natur zu unterwerfen und uns anzueignen, umso mehr entzieht sie sich unberechenbar unserem Zugriff. Eine wieder „wild“ gewordene Natur wird der Mensch nicht überleben. Nur das aktive Nichttun, das bewusste Loslassen des Ziels der Naturbeherrschung und -ausbeutung kann die Natur und den Menschen noch retten.
Der besondere Beitrag des Buddhismus zum Schutz der Natur und Erhalt unserer menschlichen Lebensbedingungen besteht also weniger in bestimmten Handlungsanweisungen des Buddha, sondern darin, was er uns lehrt, zu lassen, wovon er uns abhalten will: Weiterhin dem Weg zu folgen, uns die Erde untertan zu machen. Wenn wir eigenes Leiden überwinden wollen, können wir uns unserer Mitwelt gegenüber nicht verhalten wie Räuber und Vergewaltiger, sondern müssen uns als Freund und Partner erweisen.
In einer Lehrrede des Buddha über die Achtsamkeit3 heißt es in der Übersetzung des Ehrwürdigen Nyanaponika:
„Mich selbst schützend, schütze ich den anderen,
den anderen schützend, schütze ich mich selbst.“
Anmerkungen:
1 Siehe: „Mitwelt – Zeitschrift für engagierten Buddhismus“, Nr. 4/1994
2 vgl. http://www.kagyuoffice.org/: 108 Things you can do to help the environment
3 Satipatthana Samyutta, Nr. 19
Copyright © Buddhanetz [Stand: Januar 2006]
von Franz-Johannes Litsch
Der Buddhismus gilt gemeinhin als naturfreundlich und umweltbewusst. Bäume zum Beispiel spielten im Leben des Buddha eine beträchtliche Rolle. Unter einem Baum wurde Siddhattha Gotama (Schreibweise auf Pali) geboren, unter einem Baum erlangte er Erwachen und wurde er zum Buddha, unter einem Baum ist er gestorben. Unter Bäumen haben sich die Mönche, Nonnen und Laien versammelt, haben Lehrreden zugehört, debattiert oder sich zur Meditation niedergelassen. Nicht Tempel und Klöster, sondern Haine und Parks waren zu Buddhas Zeit die Aufenthalte der Sangha während der Regenperiode. Dort errichteten sie leichte Hütten, die danach wieder abgebaut wurden. Zu den Ordensregeln (Vinaya) für buddhistische Mönche und Nonnen gehört es, keine Bäume zu fällen, ja nicht einmal Äste abzusägen, sondern nur auf dem Boden liegendes Holz aufzusammeln. Auch soll der Boden nicht aufgerissen oder gepflügt werden, um keine Kleinstlebewesen zu schädigen. Wasser empfiehlt der Buddha sparsam zu verbrauchen und es zuvor durch ein Netz zu filtern. Tiere nicht zu töten oder zu quälen, gehört zu den Grundübungen buddhistischer Ethik.
Davon inspiriert hat der buddhistische Kaiser Ashoka in Indien schon im 3. Jh.v.Chr. Gesetze zum Tierschutz erlassen, das Nichttöten von Rindern – die in der vedischen Religion wichtige Opfertiere waren – durchgesetzt und die vegetarische Ernährung empfohlen. Indien profitiert davon noch heute. Auch in Sri Lanka und Tibet gab es schon vor Jahrhunderten Tierschutzgesetze. Als der Buddhismus von Indien nach China kam, hat er einen tiefgreifenden Wandel in der Medizin bewirkt, indem er die dort übliche Verwendung tierischer Substanzen als Heilmittel durch Kräutermedizin ersetzte. In Verbindung mit dem Daoismus entstanden im Chan-Buddhismus vielfache Wege und Formen faszinierend naturnaher Kunst. In der Tuschmalerei, der Poesie, der Musik und der Gartengestaltung ging es darum, der Buddhanatur im Stein, Bambus oder Vogel nahezukommen. Japanische Gartenbaukunst, Architektur, Keramik, Blumensteckkunst, Grafik und Materialverwendung haben mit ihrer konzentrierten Natürlichkeit im 19. und 20. Jahrhundert entscheidende Anregungen für die Entstehung der modernen westlichen Architektur und Kunst gegeben.
Buddhisten für ökologische Verantwortung
Als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die von der industriellen Gierwirtschaft verursachte Plünderung der Natur und Umweltzerstörung immer deutlicher, aber dennoch kaum wahrgenommen wurde, war es der amerikanische Beat-Dichter und frühe Zen-Mönch Gary Snyder, der als einer der Ersten in Texten und Aktionen auf die drohende ökologische Katastrophe hinwies. Seine Heiligkeit der Dalai Lama hat ebenfalls früh vor der Umweltkrise gewarnt. Im Jahre 1992 nahm er bei der ersten Umweltkonferenz der UN in Rio de Janeiro teil und stellte seine Sicht unter dem Titel „Unsere universelle Verantwortung“ vor. Ein Jahr später lud er zu der weltweiten Konferenz „Ökologische Verantwortung – ein Dialog mit dem Buddhismus“ in die indische Hauptstadt Neu-Delhi ein. Bedeutende buddhistische Lehrer und Wissenschaftler waren anwesend. Gemeinsam verabschiedeten die Teilnehmer einen öffentlichen Aufruf „Für unsere ökologische Verantwortlichkeit“.
Der vietnamesische Mahayana-Lehrer Thich Nhat Hanh hat in den 80er-Jahren in den USA mehrere große Retreats mit engagierten Umweltschützern durchgeführt und dabei tiefgründige buddhistische Sichtweisen zu Umweltfragen vorgestellt. Joanna Macy, eine bekannte amerikanische Wissenschaftlerin, Buddhistin und Umweltschützerin bot Ermutigungskurse für Umweltaktivisten an und führte mit ihnen direkte Aktionen, unter anderem gegen Atommülllager, durch. Theravada-Mönche in Thailand setzten sich in vielfältigen, aufsehenerregenden Aktionen – wie der Mönchsordination großer Bäume – für den Erhalt des tropischen Urwalds und damit den Ort ihrer meditativen Praxis ein. Österreichische, deutsche und Schweizer Buddhisten organisierten in den 90er-Jahren Aktionen gegen Massentierhaltung und Schlachthäuser oder absolvierten in ihnen, wie die Peacemaker-Gemeinschaft, sogar Retreats.
2002 nahmen Vertreter der DBU an einem vom damaligen deutschen Umweltminister initiierten Gespräch aller großen Religionen in Deutschland teil, in dem mit seiner Beteiligung eine gemeinsame Antwort auf die bevorstehende globale Klimaveränderung besprochen und beschlossen werden sollte. Das Vorhaben scheiterte daran, dass der Vertreter einer großen Religion die Tatsache der Klimaveränderung nicht wahrhaben wollte. Nur zwei Jahre später war das Phänomen mit seinen verheerenden Folgen fast auf der ganzen Welt von Laien, Politikern und Wissenschaftlern anerkannt. Inzwischen lässt sich nicht mehr leugnen, dass die Menschheit im 21. Jahrhundert mit katastrophalen Zerstörungen und Veränderungen ihrer natürlichen Lebensbedingungen konfrontiert sein wird – Folgen unserer naturmissachtenden Lebens- und Wirtschaftsweise, die das Überleben der Menschheit oder zumindest großer Teile von ihr infrage stellt. Der 17. Karmapa Urgyen Trinley Dorje macht in letzter Zeit durch besorgte und engagierte Beiträge über die Bedeutung des Umweltschutzes für die Zukunft der Welt und des Dharma von sich reden.2
Mensch und Natur in Indien und Griechenland
Trotz all dieser positiven Beispiele lässt sich nicht übersehen, dass unter der Mehrheit der Buddhisten sowohl hier in Europa wie in Asien das Umweltengagement, ja das Interesse an der Erhaltung unserer natürlichen Lebengrundlagen sehr gering ist. Und tatsächlich, liest man die Lehren des Buddhismus, so ist es hier mit dem Umweltschutz oder, wie die Christen es nennen, der „Bewahrung der Schöpfung“ nicht so einfach und deutlich. Denn wörtlich und vordergründig betrachtet, scheint Natur- oder Umweltschutz in der Lehre des Buddha nicht vorzukommen. Daher glauben etliche Buchstabengläubige, die Probleme auch nicht sehen oder ernst nehmen zu müssen.
In der Welt des Buddha, also in Nordindien vor 2 500 Jahren, war die Natur nicht durch den Menschen bedroht, sondern sahen sich die Menschen umgekehrt von der Natur bedroht, zumal die nordindische Gangesebene damals noch weitgehend von dichtem Dschungel bedeckt war, voller gefährlicher Tiere, Krankheiten bringender Insekten und alles überwuchernder Pflanzen. Nicht die Natur sondern der Mensch musste geschützt werden. Dennoch, und bereits das ist bemerkenswert, finden sich beim Buddha und im ganzen Buddhismus keinerlei naturfeindliche Äußerungen oder Haltungen, wie sie sehr deutlich zur gleichen Zeit im antiken Mittelmeerraum und später im Christentum zu finden sind. Sätze wie „Macht euch die Erde untertan“ oder gar die Ansicht, dass die Welt oder die Natur böse und sündig sei, das Werk des Teufels oder zumindest von ihm verdorben, gab es in Indien nie.
Der Buddha hat die Welt und die Natur nicht bewertet, sondern nahm sie schlicht als die dem Menschen gegebenen Bedingungen, zu denen er selber – wie auch die Tiere – gehört. Der Mensch steht nicht gegen die Natur und nicht über ihr, sondern ist ein untrennbarer Teil von ihr. Das wird schon daran deutlich, dass es unseren Begriff „Natur“ sowohl im Sanskrit als auch im Pali nicht gibt. Ebenso wenig findet sich dort der Begriff, aus dem der Naturbegriff des Abendlands als Gegensatz hervorgegangen ist: die Kultur. Sie ist – gemäß abendländischem Denken – die vom Menschen bearbeitete, geordnete, angeeignete, nutzbar gemachte, verbesserte, „zivilisierte“ Natur. Für den griechischen Philosophen Aristoteles war das Verhältnis des Menschen zur Natur zu sehen, wie das des Herren zum Sklaven. Der Prozess der Kultivierung ist demnach ein Akt der Unterwerfung. Er beginnt mit dem Ackerbau, dem „Kultivieren“ des Bodens und endet heute beim Menschen selber, bei dessen künstlicher Herstellung und technischer Perfektionierung (vom Bodybuilding über die Gentechnik bis zum Robotermenschen). Zivilisation und Entwicklung heißt bei uns heute, Natur durch Technik zu ersetzen.
Die Ökologie der Wirklichkeit
Für den Buddha ist der Mensch Teil des alles umfassenden, miteinander vernetzten, einander bedingenden, sich wechselseitig hervorbringenden, gegenseitig enthaltenden, prozesshaften Geschehens der Wirklichkeit, das er in seiner allgemeinsten Form „Paccayata“, „Bedingtheit“, in seiner auf den unerwachten Menschen hin betrachteten, in zwölf Aspekten beschriebenen Form „Paticca Samuppada “, „bedingtes Zusammenentstehen“, nennt. Paticca Samuppada hat den Charakter eines Kreislaufs. In Indien nannte man das Samsara, wir nennen es gelegentlich Teufelskreis oder Hamsterrad. Das heißt, wir schaffen durch unser Denken, Wahrnehmen und Handeln ständig unsere eigenen Bedingungen des Denkens, Wahrnehmens und Handelns. Wir schaffen zirkulär uns selbst und unsere Wirklichkeit. Und zwar dadurch, dass wir, von Unwissenheit (Avijja) und Verlangen (Tanha) getrieben, versuchen, uns selbst und die Wirklichkeit zu ergreifen (Upadana), anzueignen und zu verewigen. Wir wollen uns und alles andere in den Griff bekommen, die Welt beherrschen und uns selbst verabsolutieren. Kurz gesagt, der Buddha erkannte bereits das, was im 19. Jahrhundert auch dem deutschen Philosophen Nietzsche aufging: Das menschliche Dasein ist geprägt vom „Willen zur Macht“. Während Nietzsche dies jedoch bejahte – in Übereinstimmung mit seiner von der Weltbeherrschung beherrschten Zeit –, sah Buddha darin die grundlegende Illusion und Wurzel allen Leids.
Er erkannte nämlich, dass alles natürliche und menschliche Geschehen von drei Grundmerkmalen (Tilakkhana) geprägt ist: „Anicca“ (Unbeständigkeit), „Dukkha“ (Nichtgenügen) und „Anatta“ (Nichtsubstanzhaftigkeit). Die spätere philosophische Entwicklung des Buddhismus nannte all das zusammen „Sunyata“– (Leerheit oder Offenheit). Das heißt: Nichts im ganzen Universum können wir letztlich ergreifen, festhalten, uns aneignen, in Besitz nehmen, verdinglichen, zu uns selbst machen. Was auch immer vermeintlich substanzhaft ist – alles, was wir in unseren Griff und Begriff nehmen wollen, entgleitet uns letztlich. Illusion veranlasst uns zum Greifen, wir greifen ins Leere, die Folge ist Leiden.
Dies gilt vor allem für die Beziehung der modernen Zivilisation zur Natur und Welt. Mit riesigem wissenschaftlichen, technischen, wirtschaftlichen und politischen Aufwand versuchen wir seit rund 500 Jahren die Natur zu berechnen, zu kontrollieren, zu steuern, uns zu eigen zu machen, auszurauben, zu verbessern und durch Technik zu ersetzen – mit dem Ergebnis, dass zwar einige Dinge bequemer, praktischer, schneller, leichter, größer, mächtiger geworden sind, doch unsere Natur und Kultur immer mehr in die Katastrophe geraten und schließlich nichts mehr beherrschbar wird. Der Siegeszug der modernen Technik und Ökonomie beruht auf der Nichtbeachtung des Paticca Samuppada, auf der Trennung der Dinge von ihrem Zusammenhang, dem Absehen von der dynamischen wechselseitigen Bezogenheit aller Phänomene, dem Ignorieren der Ökologie der Wirklichkeit. Dies hat uns in bestimmten Bereichen Macht gegeben. Die ignorierte Folge und Kehrseite sind zwangsläufig eintretende technische und wirtschaftliche Katastrophen, denen wir dann ohnmächtig gegenüberstehen.
Rettung durch Nichtbeherrschen
Wir müssen gründlich Abschied nehmen von der giergetriebenen Unterwerfung der Natur, die diese zerstört oder ins Chaos treibt. Je mehr wir versuchen, die Natur zu unterwerfen und uns anzueignen, umso mehr entzieht sie sich unberechenbar unserem Zugriff. Eine wieder „wild“ gewordene Natur wird der Mensch nicht überleben. Nur das aktive Nichttun, das bewusste Loslassen des Ziels der Naturbeherrschung und -ausbeutung kann die Natur und den Menschen noch retten.
Der besondere Beitrag des Buddhismus zum Schutz der Natur und Erhalt unserer menschlichen Lebensbedingungen besteht also weniger in bestimmten Handlungsanweisungen des Buddha, sondern darin, was er uns lehrt, zu lassen, wovon er uns abhalten will: Weiterhin dem Weg zu folgen, uns die Erde untertan zu machen. Wenn wir eigenes Leiden überwinden wollen, können wir uns unserer Mitwelt gegenüber nicht verhalten wie Räuber und Vergewaltiger, sondern müssen uns als Freund und Partner erweisen.
In einer Lehrrede des Buddha über die Achtsamkeit3 heißt es in der Übersetzung des Ehrwürdigen Nyanaponika:
„Mich selbst schützend, schütze ich den anderen,
den anderen schützend, schütze ich mich selbst.“
Anmerkungen:
1 Siehe: „Mitwelt – Zeitschrift für engagierten Buddhismus“, Nr. 4/1994
2 vgl. http://www.kagyuoffice.org/: 108 Things you can do to help the environment
3 Satipatthana Samyutta, Nr. 19
Copyright © Buddhanetz [Stand: Januar 2006]
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