Ich kaufe – also bin ich
Ich kaufe – also bin ich
Die Ökonomie der Aufmerksamkeit
von Franz-Johannes Litsch
In der ersten Lehrrede nach seinem Erwachen kennzeichnete der Buddha den Menschen als ein Wesen, das von "Durst" (trisna) getrieben ist. Er meinte damit nicht nur den physischen Nahrungsbedarf aller Lebewesen sondern auch den Durst nach Sein oder Nicht-sein, nach Haben-wollen (Gier) und Nicht-haben-wollen (Hass); vor allem aber den Durst nach Ich-sein, nach Abgrenzung, Bestätigung, Verewigung eines Selbst.
Buddha nahm damit bereits eine Einsicht vorweg, die auch die moderne Ökonomie und Psychologie leitet. Hier wird der Mensch als ein "Mängelwesen" beschrieben, als ein Wesen, das durchgehend angetrieben wird von "Bedürfnissen" und "Trieben", vom Verlangen nach Nahrung, Kleidung, Behausung und Sexualität. Doch weiß man längst: "der Mensch lebt nicht vom Brot alleine". Es sind nicht nur die körperlichen Bedürfnisse, die uns alltäglich beherrschen, sondern ebenso die psychischen und geistigen. Und je mehr die Primärbedürfnisse gestillt werden, umso stärker gewinnen die immateriellen Bedürfnisse an Bedeutung. Es wird wichtig, Beachtung zu finden, Ansehen und Erfolg zu haben oder Wissen, Macht, Reichtum oder Ruhm zu erlangen. Vor allem geht es darum, eine "Identität" zu "besitzen". Nur mit einer unverwechselbaren Identität glauben wir wirklich zu leben und nicht in Namenlosigkeit unterzugehen.
In den reichen Wohlstandsländern des Westens werden die grundlegenden materiellen Bedürfnisse der Menschen heute im allgemeinen befriedigt. Sicher, für etliche nicht genügend, für nicht wenige dennoch im Überfluß. Wir leiden nicht an Unterproduktion wie ehemals in der Ostwirtschaft sondern seit Jahrzehnten an der Überproduktion von Waren. Unserer Wirtschaft fehlt es nicht an Angeboten sondern an Käufern und Konsumenten. Darum müssen die Menschen dazu gebracht werden, mehr zu kaufen und mehr zu verbrauchen, oder Waren zu kaufen, die sie eigentlich nicht brauchen, oder Produkte von bestimmten Herstellern zu kaufen, obwohl sie dort viel teurer sind, als nötig und gerechtfertigt ist. Werbung und Marketing haben so in der industriellen Überproduktionsgesellschaft eine riesige Bedeutung gewonnen.
Da wir zudem von der Ideologie des permanenten Wirtschaftswachstums beherrscht sind, ist es nötig, fortlaufend neue Wünsche, Begierden und Bedürfnisse zu schaffen und den Eindruck zu vermitteln, dass jene nur auf dem Wege des Kaufs dieser oder jener Ware befriedigt werden können. Das bedeutet für die Werbestrategen, ständig neu öffentliche Aufmerksamkeit zu gewinnen. Auf diese Weise ist neben der Ökonomie der Waren eine zweite Ökonomie entstanden, die "Ökonomie der Aufmerksamkeit". Die funktioniert in vielem wie die erste - nur ihre Produkte sind immateriell. Sie produziert Beachtung und Bekanntheit, sie konkurriert erbittert um Wahrnehmung (Einschaltquoten, Auflagenhöhe), sie akkumuliert Aufmerksamkeitskapital bei den einen, den Prominenten, und macht andere arm, zu Anonymen.
Längst werden wir - wie von Waren - auch von Werbung, Reklame, Scheininformationen und Entertainment völlig überschwemmt. Um dennoch die Aufmerksamkeit der Menschen zu erlangen - die ebenso eine knappe Ressource ist wie die Kaufkraft der Menschen - werden die Mittel dafür immer raffinierter und extremer. Eine Eskalationsspirale um Aufmerksamkeit ist im Gang. Provokation, Gewalt und Sex haben den meisten Erfolg. Die zumeist kaum beachteten gesellschaftlichen Folgen zeigen sich gelegentlich in erschreckenden Ereignissen, die sich ihrerseits wieder profitträchtig vermarkten lassen und so den Kreislauf von Verlangen, Abneigung und Illusion stabilisieren.
Dennoch, die Produktion neuer Bedürfnisse und Aufmerksamkeit ist auf diesem Wege weitgehend an ihre Grenze gekommen. Auch hier befindet sich die kapitalistische Wirtschaft inzwischen in einer Überproduktionskrise, eine Steigerung ist kaum noch möglich. Die Vordenker der Ökonomie haben sich darum längst auf die Suche nach neuen Wegen der Aktivierung unseres Durstes gemacht. Die vor wenigen Jahrzehnten gefundene Antwort prägt längst breit - von den ihr folgenden Menschen aber kaum bewusst wahrgenommen - unsere gesellschaftliche Wirklichkeit. Sie heißt: wir produzieren und verkaufen keine dinglichen Waren und Produkte mehr, sondern wir produzieren Image und Identität.
Nichts ist dem modernen Menschen so sehr Bedürfnis und Zentrum all seines Interesses wie sein sogenanntes Ich. Denn mit unserem Ich befinden wir uns selbst auf dem Markt der Aufmerksamkeit. Ob es um den Job, die Karriere, die Wohnung, den Partner, die Freunde geht, auf diesem Markt ist nur erfolgreich, wer sich selbst attraktiv macht und geschickt vermarktet. Der Begriff "Ich AG" macht die Runde. Das neue Ich hat man nicht mehr einfach, sondern muss man sich erwerben. Der moderne Mensch muss "etwas aus sich machen", muss sich sein Selbst, seine Identität, seine Individualität hart erarbeiten. Dem kommt die neue Ökonomie jetzt entgegen.
Die neuen Identitätsproduzenten erstellen komplette Ichbilder, Images und Persönlichkeitsentwürfe auf professionelle und industrielle Weise. Den größten Erfolg und Einfluss können sie unter den heranwachsenden, noch auf der Suche nach sich selbst befindlichen Jugendlichen verzeichnen. Was da z.B. einstmals als Turnschuhfirma begann, ist heute längst zum Kultobjekt, zur Lebensform, zur pseudoreligiösen Gemeinschaft gediehen. Von ihrem enormen Erfolg getragen, haben sich etliche Firmen des neuen Kultmarketings von der materiellen Produktion völlig verabschiedet, lassen diese nur noch über befristete Unteraufträge von Billigproduzenten in 3.Welt-Ländern erledigen, während sie sich selbst als die gesellschaftlich maßgebenden Ideengeber, Visionäre, Sinnstifter verstehen. Logos werden zum Identitätsträger und Lebensinhalt, Bekleidungsfirmen treten mit einem "spirituellen" Lebensmotto auf, Design und Präsentation nehmen versteckt religiöse Formen und Motive auf, Shopping-Center werden insgeheim nach dem Vorbild christlicher Kirchen gestaltet. Das Wort vom "Konsumtempel" und "Kapitalismus als Religion" wird bewußt eingelöst.
Die neuste Marketingtheorie spricht direkt vom "spirituellen Mehrwert" der neuartigen Waren und Produkte. Dieser besteht im Image, im Lifestyle, in der Identität, die mit der Ware - welche nur noch Träger der Marke ist - verkauft werden. Es kommt nicht darauf an, um welches Produkt es sich handelt, ob und wie es seinen eigentlichen Zweck erfüllt, ob sein Preis angemessen und realistisch ist, es kommt darauf an, dass es das Image transportiert und dass der Käufer damit zur Gemeinde gehört. Enorm wichtig ist das äußere Design, noch wichtiger das "emotional design", denn es dient der Selbstvermarktung des Kunden.
Der Trend zur Selbstvermarktung hat unsere Gesellschaft mittlerweile breit erfasst. Ganz oben steht das Körperdesign, der inszenierte Körperkult: vom Jogging, Fitneßtraining, Bräunungsstudio, Extremsport und Bodybuilding über zahllose Arten von Tanzperformance, Inline Skating, Scooting, Biking bis zu Piercing, Tattooing, Schönheitsoperationen, Geschlechtsumwandlung oder tabuloser sexueller Exhibition in der Öffentlichkeit und in den Medien. Dementsprechend boomen auch die Märkte der Selbstinszenierung lawinenartig. Love Parade, Skate Paraden, Christopher Street Day, Karneval der Kulturen wurden binnen weniger Jahre zu Mega-Events mit Millionenzulauf. Talk Shows und Big Brother-Selbstdarstellungen verzeichnen die höchsten TV-Einschaltquoten. Und als der ultimative Zukunftstrend wird uns bereits und vermehrt die genetische Selektion, biotechnologische Optimierung, pränatale Merkmalplanung oder das Microchip-Körperimplantat in Aussicht gestellt. Der künstliche Mensch ist der perfekte Mensch.
Andere suchen die softere, psycho-mentale Aufbesserung und bemühen sich um innere Selbstfindung und Selbstverwirklichung, versuchen das "kleine Ich" durch das "höhere Ich" zu ersetzen oder graben nach exotischer Besonderheit oder Beständigkeit in früheren Leben. Der Supermarkt des therapeutischen, spirituellen und esoterischen Warenangebots ist längst unüberschaubar geworden. Vom Kolonialismus zerstörte Kulturen werden noch einmal nach Verwertbarem ausgeschlachtet. Ein Psycho- und Eso-Trip löst den anderen ab. Es erfordert einige Anstrengung auf dem Laufenden zu sein und auch dieser Markt kennt seine professionellen Preise für die exklusiven Versprechen, mehr zu sein oder zu werden.
Welche unglaubliche Erleichterung und Befreiung bietet uns der Buddha hier an? All der schweißtreibende Tanz um den zur Schau gestellten eigenen Nabel ist unnötig, wenn wir uns selbst und die anderen einfach so annehmen können, wie wir auf ursprüngliche Weise ohne Perfektheitsanspruch, Zielvorgabe und Anstrengung sind. Wenn wir uns zugestehen können, dass wir zwar Bedürfnisse und Mängel haben, aber in letzter Wahrheit weder Mängelwesen noch mangelhaft sind.
Alles, was es dazu braucht, ist loslassen dessen, was wir meinen haben und sein zu müssen – und Annehmen können dessen, was ursprünglich da ist und uns geschenkt wird. Wir können loslassen, indem wir - anstatt nach Aufmerksamkeit zu dürsten - Achtsamkeit entfalten. Es wird unnötig, nach Beachtung zu gieren, wenn wir uns selbst und anderen Achtsamkeit schenken. Achtsamkeit läßt uns erfahren, dass wir in jedem Augenblick unerschöpflich reich, gesichert und angenommen sind. Achtsamkeit befreit uns vom endlosen Kampf auf dem Markt der Aufmerksamkeit. Anstatt immerzu nach dem Leben zu hungern, leben wir in der schlichten Achtsamkeit hier und jetzt.
Copyright 2004 © by Netzwerk engagierter Buddhisten [Stand: Mai 2004/ August 2003]
Die Ökonomie der Aufmerksamkeit
von Franz-Johannes Litsch
In der ersten Lehrrede nach seinem Erwachen kennzeichnete der Buddha den Menschen als ein Wesen, das von "Durst" (trisna) getrieben ist. Er meinte damit nicht nur den physischen Nahrungsbedarf aller Lebewesen sondern auch den Durst nach Sein oder Nicht-sein, nach Haben-wollen (Gier) und Nicht-haben-wollen (Hass); vor allem aber den Durst nach Ich-sein, nach Abgrenzung, Bestätigung, Verewigung eines Selbst.
Buddha nahm damit bereits eine Einsicht vorweg, die auch die moderne Ökonomie und Psychologie leitet. Hier wird der Mensch als ein "Mängelwesen" beschrieben, als ein Wesen, das durchgehend angetrieben wird von "Bedürfnissen" und "Trieben", vom Verlangen nach Nahrung, Kleidung, Behausung und Sexualität. Doch weiß man längst: "der Mensch lebt nicht vom Brot alleine". Es sind nicht nur die körperlichen Bedürfnisse, die uns alltäglich beherrschen, sondern ebenso die psychischen und geistigen. Und je mehr die Primärbedürfnisse gestillt werden, umso stärker gewinnen die immateriellen Bedürfnisse an Bedeutung. Es wird wichtig, Beachtung zu finden, Ansehen und Erfolg zu haben oder Wissen, Macht, Reichtum oder Ruhm zu erlangen. Vor allem geht es darum, eine "Identität" zu "besitzen". Nur mit einer unverwechselbaren Identität glauben wir wirklich zu leben und nicht in Namenlosigkeit unterzugehen.
In den reichen Wohlstandsländern des Westens werden die grundlegenden materiellen Bedürfnisse der Menschen heute im allgemeinen befriedigt. Sicher, für etliche nicht genügend, für nicht wenige dennoch im Überfluß. Wir leiden nicht an Unterproduktion wie ehemals in der Ostwirtschaft sondern seit Jahrzehnten an der Überproduktion von Waren. Unserer Wirtschaft fehlt es nicht an Angeboten sondern an Käufern und Konsumenten. Darum müssen die Menschen dazu gebracht werden, mehr zu kaufen und mehr zu verbrauchen, oder Waren zu kaufen, die sie eigentlich nicht brauchen, oder Produkte von bestimmten Herstellern zu kaufen, obwohl sie dort viel teurer sind, als nötig und gerechtfertigt ist. Werbung und Marketing haben so in der industriellen Überproduktionsgesellschaft eine riesige Bedeutung gewonnen.
Da wir zudem von der Ideologie des permanenten Wirtschaftswachstums beherrscht sind, ist es nötig, fortlaufend neue Wünsche, Begierden und Bedürfnisse zu schaffen und den Eindruck zu vermitteln, dass jene nur auf dem Wege des Kaufs dieser oder jener Ware befriedigt werden können. Das bedeutet für die Werbestrategen, ständig neu öffentliche Aufmerksamkeit zu gewinnen. Auf diese Weise ist neben der Ökonomie der Waren eine zweite Ökonomie entstanden, die "Ökonomie der Aufmerksamkeit". Die funktioniert in vielem wie die erste - nur ihre Produkte sind immateriell. Sie produziert Beachtung und Bekanntheit, sie konkurriert erbittert um Wahrnehmung (Einschaltquoten, Auflagenhöhe), sie akkumuliert Aufmerksamkeitskapital bei den einen, den Prominenten, und macht andere arm, zu Anonymen.
Längst werden wir - wie von Waren - auch von Werbung, Reklame, Scheininformationen und Entertainment völlig überschwemmt. Um dennoch die Aufmerksamkeit der Menschen zu erlangen - die ebenso eine knappe Ressource ist wie die Kaufkraft der Menschen - werden die Mittel dafür immer raffinierter und extremer. Eine Eskalationsspirale um Aufmerksamkeit ist im Gang. Provokation, Gewalt und Sex haben den meisten Erfolg. Die zumeist kaum beachteten gesellschaftlichen Folgen zeigen sich gelegentlich in erschreckenden Ereignissen, die sich ihrerseits wieder profitträchtig vermarkten lassen und so den Kreislauf von Verlangen, Abneigung und Illusion stabilisieren.
Dennoch, die Produktion neuer Bedürfnisse und Aufmerksamkeit ist auf diesem Wege weitgehend an ihre Grenze gekommen. Auch hier befindet sich die kapitalistische Wirtschaft inzwischen in einer Überproduktionskrise, eine Steigerung ist kaum noch möglich. Die Vordenker der Ökonomie haben sich darum längst auf die Suche nach neuen Wegen der Aktivierung unseres Durstes gemacht. Die vor wenigen Jahrzehnten gefundene Antwort prägt längst breit - von den ihr folgenden Menschen aber kaum bewusst wahrgenommen - unsere gesellschaftliche Wirklichkeit. Sie heißt: wir produzieren und verkaufen keine dinglichen Waren und Produkte mehr, sondern wir produzieren Image und Identität.
Nichts ist dem modernen Menschen so sehr Bedürfnis und Zentrum all seines Interesses wie sein sogenanntes Ich. Denn mit unserem Ich befinden wir uns selbst auf dem Markt der Aufmerksamkeit. Ob es um den Job, die Karriere, die Wohnung, den Partner, die Freunde geht, auf diesem Markt ist nur erfolgreich, wer sich selbst attraktiv macht und geschickt vermarktet. Der Begriff "Ich AG" macht die Runde. Das neue Ich hat man nicht mehr einfach, sondern muss man sich erwerben. Der moderne Mensch muss "etwas aus sich machen", muss sich sein Selbst, seine Identität, seine Individualität hart erarbeiten. Dem kommt die neue Ökonomie jetzt entgegen.
Die neuen Identitätsproduzenten erstellen komplette Ichbilder, Images und Persönlichkeitsentwürfe auf professionelle und industrielle Weise. Den größten Erfolg und Einfluss können sie unter den heranwachsenden, noch auf der Suche nach sich selbst befindlichen Jugendlichen verzeichnen. Was da z.B. einstmals als Turnschuhfirma begann, ist heute längst zum Kultobjekt, zur Lebensform, zur pseudoreligiösen Gemeinschaft gediehen. Von ihrem enormen Erfolg getragen, haben sich etliche Firmen des neuen Kultmarketings von der materiellen Produktion völlig verabschiedet, lassen diese nur noch über befristete Unteraufträge von Billigproduzenten in 3.Welt-Ländern erledigen, während sie sich selbst als die gesellschaftlich maßgebenden Ideengeber, Visionäre, Sinnstifter verstehen. Logos werden zum Identitätsträger und Lebensinhalt, Bekleidungsfirmen treten mit einem "spirituellen" Lebensmotto auf, Design und Präsentation nehmen versteckt religiöse Formen und Motive auf, Shopping-Center werden insgeheim nach dem Vorbild christlicher Kirchen gestaltet. Das Wort vom "Konsumtempel" und "Kapitalismus als Religion" wird bewußt eingelöst.
Die neuste Marketingtheorie spricht direkt vom "spirituellen Mehrwert" der neuartigen Waren und Produkte. Dieser besteht im Image, im Lifestyle, in der Identität, die mit der Ware - welche nur noch Träger der Marke ist - verkauft werden. Es kommt nicht darauf an, um welches Produkt es sich handelt, ob und wie es seinen eigentlichen Zweck erfüllt, ob sein Preis angemessen und realistisch ist, es kommt darauf an, dass es das Image transportiert und dass der Käufer damit zur Gemeinde gehört. Enorm wichtig ist das äußere Design, noch wichtiger das "emotional design", denn es dient der Selbstvermarktung des Kunden.
Der Trend zur Selbstvermarktung hat unsere Gesellschaft mittlerweile breit erfasst. Ganz oben steht das Körperdesign, der inszenierte Körperkult: vom Jogging, Fitneßtraining, Bräunungsstudio, Extremsport und Bodybuilding über zahllose Arten von Tanzperformance, Inline Skating, Scooting, Biking bis zu Piercing, Tattooing, Schönheitsoperationen, Geschlechtsumwandlung oder tabuloser sexueller Exhibition in der Öffentlichkeit und in den Medien. Dementsprechend boomen auch die Märkte der Selbstinszenierung lawinenartig. Love Parade, Skate Paraden, Christopher Street Day, Karneval der Kulturen wurden binnen weniger Jahre zu Mega-Events mit Millionenzulauf. Talk Shows und Big Brother-Selbstdarstellungen verzeichnen die höchsten TV-Einschaltquoten. Und als der ultimative Zukunftstrend wird uns bereits und vermehrt die genetische Selektion, biotechnologische Optimierung, pränatale Merkmalplanung oder das Microchip-Körperimplantat in Aussicht gestellt. Der künstliche Mensch ist der perfekte Mensch.
Andere suchen die softere, psycho-mentale Aufbesserung und bemühen sich um innere Selbstfindung und Selbstverwirklichung, versuchen das "kleine Ich" durch das "höhere Ich" zu ersetzen oder graben nach exotischer Besonderheit oder Beständigkeit in früheren Leben. Der Supermarkt des therapeutischen, spirituellen und esoterischen Warenangebots ist längst unüberschaubar geworden. Vom Kolonialismus zerstörte Kulturen werden noch einmal nach Verwertbarem ausgeschlachtet. Ein Psycho- und Eso-Trip löst den anderen ab. Es erfordert einige Anstrengung auf dem Laufenden zu sein und auch dieser Markt kennt seine professionellen Preise für die exklusiven Versprechen, mehr zu sein oder zu werden.
Welche unglaubliche Erleichterung und Befreiung bietet uns der Buddha hier an? All der schweißtreibende Tanz um den zur Schau gestellten eigenen Nabel ist unnötig, wenn wir uns selbst und die anderen einfach so annehmen können, wie wir auf ursprüngliche Weise ohne Perfektheitsanspruch, Zielvorgabe und Anstrengung sind. Wenn wir uns zugestehen können, dass wir zwar Bedürfnisse und Mängel haben, aber in letzter Wahrheit weder Mängelwesen noch mangelhaft sind.
Alles, was es dazu braucht, ist loslassen dessen, was wir meinen haben und sein zu müssen – und Annehmen können dessen, was ursprünglich da ist und uns geschenkt wird. Wir können loslassen, indem wir - anstatt nach Aufmerksamkeit zu dürsten - Achtsamkeit entfalten. Es wird unnötig, nach Beachtung zu gieren, wenn wir uns selbst und anderen Achtsamkeit schenken. Achtsamkeit läßt uns erfahren, dass wir in jedem Augenblick unerschöpflich reich, gesichert und angenommen sind. Achtsamkeit befreit uns vom endlosen Kampf auf dem Markt der Aufmerksamkeit. Anstatt immerzu nach dem Leben zu hungern, leben wir in der schlichten Achtsamkeit hier und jetzt.
Copyright 2004 © by Netzwerk engagierter Buddhisten [Stand: Mai 2004/ August 2003]
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