Konzernmacht
Konzernmacht
Eine buddhistische Kritik
von David Loy
Wir haben den Konzernen die Macht gegeben über alles, was unser Leben ausmacht. Sie sind aufgestiegen zu souveränen Bürgern, wir aber wurden zu Konsumenten degradiert. In ihren Händen sind Macht und Reichtum konzentriert. Sie formen und gestalten unsere Gesellschaft und unsere Welt. Sie gestalten unsere Ziele und unsere Sehnsüchte. Sie geben uns unsere Gedanken und unsere Sprache vor. Sie erschaffen die Sinnbilder und Metaphern unserer Zeit, die unsere Kinder benutzen, um die Welt, in der sie leben, sowie sich selbst zu definieren. Mit anderen Worten: genau das, was die Großkonzerne gekonnt machen, das was ihre Aufgabe ist, das ist das Kernproblem.(1)
Was ist Globalisierung und was bedeutet sie für unser Leben? Auf diese Frage ist eine einfache Antwort nicht möglich, da es die Globalisierung schlechthin nicht gibt. Globalisierung ist vielmehr ein komplexes Geflecht sich gegenseitig beeinflussender Entwicklungen, und zwar ökonomisch, politisch, technologisch und kulturell. Dieser Artikel versucht, eine buddhistische Perspektive auf das zu entwickeln, was möglicherweise die wichtigste Triebkraft der Globalisierung ist, auf eine Institution, die mehr tatsächlichen Einfluß hat auf unser Leben als irgendeine andere (vielleicht abgesehen von den Regierungen): die Konzerne, insbesondere die transnationalen. Ich möchte mich dem, was Konzerne sind, von einer religiösen, insbesondere einer buddhistischen Perspektive nähern. Trotz ihres enormen und ständig wachsenden Einflusses auf uns wissen wir überraschend wenig über sie, nämlich über das, was sie in Wirklichkeit sind und warum sie in der Weise wirken, wie sie wirken. 1995 waren nur noch 49 der 100 größten Wirtschaftssubjekte Staaten, die anderen 51 waren Konzerne. Malaysia war Nr. 53, größer als Masushita (54), aber etwas kleiner als IBM (52); Mitsubishi, der nach dieser Liste größte Konzern, lag auf Platz 22. Die Gesamtumsätze der 200 führenden transnationalen Konzerne waren größer als das Bruttosozialprodukt von 182 Staaten - allen außer den 9 führenden Nationen. Das entspricht etwa 30% des Weltsozialprodukts. Dennoch beschäftigen diese Konzerne weniger als den dritten Teil eines einzigen Prozentes der Weltbevölkerung - Tendenz: sinkend.(2)
In den USA kaufen die 100 größten Konzerne etwa 75% der Sendezeit aller kommerziellen Sender und außerdem mehr als 50% der öffentlichen Fernsehzeit.(3) Das bedeutet, daß sie entscheiden, was im Fernsehen gezeigt wird und was nicht, das Fernsehen ist ihr Privatmedium geworden. Konzernfusionen und -verflechtungen bedeuten dann auch, daß die Radiostationen, Zeitungen und Verlagshäuser einer schrumpfenden Zahl von Zusammenschlüssen gehören, bei einem Anstieg der Wichtigkeit, bestimmte Profitmargen zu erfüllen. Kurz gesagt: Konzerne kontrollieren das "Nervensystem" der USA und in wachsendem Maße unser internationales System genauso. Um so verwunderlicher ist es, daß wir relativ wenig von dem hören, was die Konzerne tun - offensichtlich ist ihnen das ganz recht so. Zeitungen und Nachrichtensendungen sind voll von den Reden und Treffen der Regierungsmitglieder - und das, obwohl deren Einfluß durch die Globalisierung der Weltwirtschaft ständig reduziert wird. Der zentrale Punkt dieses Artikels ist der: heute sind, dank des Siegeszuges demokratischer Ideale, die Staaten in wachsendem Maße den Bürgern verantwortlich, aber wem sind eigentlich die Konzerne verantwortlich?
Eines unserer Probleme heute ist die Tatsache, daß wir in der ausschließlichen Beschäftigung mit dem gegenwärtigen Konsum und zukünftigen Möglichkeiten in Gefahr sind, die Vergangenheit zu verlieren, d.h. unseren Sinn für Geschichte. Wenn man etwas verstehen will, ist es das erste, auf seine Geschichte zu schauen, die bestimmte Aspekte erhellen kann, die wir andernfalls übersehen oder mißverstehen. ... Ich hoffe also, daß Sie mir gestatten, einen kurzen geschichtlichen Überblick zu bieten. Was lehrt uns die Geschichte über Konzernverantwortung?
Eingetragene Handelsgesellschaften mit gesetzlicher Haftungsbeschränkung gab es zunächst in Europa. Der erste Bericht über eine solche Gesellschaft, den ich bei meinen Recherchen fand, datiert aus Florenz im Jahre 1532. Sowohl Ort als auch Zeit sind äußerst interessant. 1492 "entdeckte" Kolumbus Amerika, 1498 gelang Vasco da Gama die Afrika-Umseglung, von der er mit Fracht im Wert des 60-fachen der Reisekosten zurückkehrte. 6000% Profit! Man kann sich vorstellen, wie das die Phantasie der italienischen Kaufleute beflügelte! Allerdings hatte die Sache gleich mehrere Haken. Erstens war die Ausrüstung einer solchen Expedition extrem teuer, so daß nur wenige Leute es sich leisten konnten, so etwas selbst zu unternehmen. Zweitens waren solche Reisen äußerst riskant, die Wahrscheinlichkeit eines Totalverlustes durch Sturm oder Piraten war beträchtlich. Und drittens gab es Schuldtürme - Gefängnis nicht nur für die Schuldner selbst, sondern für die ganze Familie inkl. aller Nachkommen, wenn man das Schiff verlor und die Schulden nicht bezahlen konnte.
Die Lösung dieser Probleme war ebenso einfach wie genial: gesetzliche Haftungsbeschränkung. Statt mit dem gesamten Vermögen wurde nur noch mit dem investierten Kapital gehaftet. Ein solches Arrangement wurde durch eine spezielle staatliche Urkunde verbrieft, im Italien der Renaissance also vom jeweiligen Fürsten. Dies hatte für beide Seiten Vorteile, nicht nur für den Investor, sondern auch für den Fürsten, denn eine erfolgreiche Unternehmung ließ den Einfluß des Fürstentums steigen - und natürlich wurde der Fürst auch am Profit beteiligt.
Was zeigt uns das? Erstens, daß von Anbeginn an Handelsgesellschaften und Kolonialismus bzw. koloniale Ausbeutung zwei Seiten der gleichen Medaille waren - ein Prozeß, der auch im heutigen neokolonialen System noch andauert, wo noch immer Reichtum von Süden nach Norden umverteilt wird. Die Kapitalgesellschaften sind noch immer die Triebkraft dieses Prozesses, auch wenn ihnen Weltbank und IWF (Internationaler Währungs-Fond) dabei nach Kräften helfen.
Zweitens zeigt es, daß die Kapitalgesellschaften von Anbeginn an eine geradezu inzestuöse Verbindung mit dem Staat eingegangen sind. Im 16. Jahrhundert haben keine Nationalstaaten existiert, wie wir sie kennen. Fürsten waren im allgemeinen in ihren Mitteln zu beschränkt, um die Art von Herrschaft auszuüben, die wie heute für selbstverständlich halten. Der Staat, wie wir ihn - sich politisch selbstabgrenzend und selbsterweiternd - kennen, entwickelte sich zugleich mit der fürstlich oder königlich eingesetzten Handelsgesellschaft. Man kann sogar sagen, daß sie ein Siamesischer Zwilling waren: zwangsläufig miteinander verbunden. Insbesondere ermöglichte es der enorme Reichtum, der aus der Neuen Welt herausgezogen wurde, den Staaten, immer mächtiger und kühner zu werden; und die Herrscher förderten diesen Prozeß, indem sie Armeen und Flotten ausschickten, um fremde Länder zu "befrieden". Das deutet darauf hin, daß da ein dritter Partner mit den beiden anderen heranwuchs: das moderne Militär. Zusammen bildeten sie eine "unheilige Dreieinigkeit" mit Hilfe der neuen Technologien: dem Schießpulver, dem Kompaß (für die Navigation) sowie diesem cleveren neuen Typ von geschäftlicher Organisation, der das finanzielle Risiko minimierte. Kurz gesagt, der moderne Nationalstaat und sein Militär wuchsen, indem sie sich auf dem gleichen Weg wie die beauftragten Handelsgesellschaften von kolonialer Ausbeutung ernährten.(4)
Dieser Inzest muß betont werden, denn wir tendieren dazu, ihn zu vergessen. Wir unterscheiden zwischen der Regierung und der Wirtschaft, aber an der Spitze gibt es gewöhnlich kaum effektive Distanz zwischen beiden. Heutzutage erhalten die Regierungen immer noch ihren fürstlichen Anteil an der Beute - der heißt jetzt Steuern. Einerseits müssen die Staaten heute Konzern-Geschäfte fördern, weil sie in zuhälterischer Weise von dieser Einkunfts-Quelle abhängig geworden sind. Auf der anderen Seite gedeihen die transnationalen Konzerne auf der Grundlage spezieller Gesetze und Vereinbarungen, mit denen die Staaten ihre Aktivitäten fördern. Dan Hamburg, ein ehemaliger Demokratischer Vertreter aus Kalifornien, folgerte aus seinen Tätigkeits-Jahren im USA-Kongreß: "Die tatsächliche Regierung unseres Landes ist die Wirtschaft, dominiert von großen Konzernen, die den Staat dafür anheuern, ihre Vorgaben zu erfüllen. Ein sicheres Umfeld zu hegen, in dem Konzerne und ihre Investoren florieren können, das ist das Hauptziel beider [politischen] Parteien."(5) Das gleiche gilt auch international. Fast überall bedeutet Globalisierung, daß die Interessen von Politikern, die Nationen beherrschen, immer mehr mit denen, die die Konzerne beherrschen, eng ineinander verschlungen sind. In den meisten Ländern bewegt sich die Elite ganz leicht von der einen zur anderen Seite hin und her, vom Konzern-Management auf einen Kabinettsposten und wieder zurück; ganz selbstverständlich identifizieren sie sich dabei mit dem gegenseitigen Interesse. Man denke z.B. nur daran, wie sehr die Außenpolitik der USA heute von dem Verlangen bestimmt wird, fremde Märkte (sowie Rohmaterialien, billige Arbeitskräfte usw.) für das Eindringen von US-Konzernen zu erschließen. Gelegentlich hat es Ausnahmen von dieser traulichen Verwandtschaft gegeben - z.B. durch aufrichtige Volkshelden -, aber sie dauern gewöhnlich nicht sehr lange.
Zurück zur Frage der Konzernverantwortung. Eine königliche Urkunde listete die Privilegien einer Handelsgesellschaft ebenso auf wie ihre Verantwortlichkeiten. Seither, so kann man sagen, ist die Handelsgeschichte eine Geschichte des Aufblähens der Privilegien und des Schrumpfens der Verantwortung. Ein wichtiger Schritt, um diese Verantwortung abzubauen, war die Einrichtung der Aktiengesellschaft; die erste englische wurde 1553 gegründet. Die Anteile an einer Gesellschaft konnten nun frei gekauft und wieder verkauft werden, sogar an irgendjemand in einem fremden Land. Der Aktienmarkt ist seither natürlich ein wesentliches Kennzeichen jeder entwickelten Wirtschaft sowie auch der meisten sich entwickelnden geworden. Man beachte jedoch die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Verantwortung - auf die ethischen Konsequenzen geschäftlicher Aktivitäten. Kraft Gesetzes gilt die primäre Verantwortung einer Aktiengesellschaft keineswegs den Beschäftigten oder den Kunden, sondern den Aktionären, denn letztendlich gehört ihnen die Gesellschaft. Was aber bedeutet es, wenn diese Aktionäre anonym sind, hier und dort verstreut, meist weitab wohnen und kein anderes Interesse haben, als die Rendite?
Vergleichen wir diese Situation mit einem kleinen Unternehmen im Besitz von Ortsansässigen. Angenommen, sie sind Handwerksmeister in einer vorindustriellen Gesellschaft. Gehen die Geschäfte gut, haben sie etliche Angestellte, Gesellen und Lehrlinge beschäftigt. Sie und ihre Familie leben neben der Werkstatt, ihre Ehefrau trifft die Frauen der Mitarbeiter, ihre Kinder spielen mit deren Kinder, vielleicht besuchen sie den Unterricht beim gleichen Lehrer. Alle nehmen am gleichen Gottesdienst teil, haben die gleichen Feiertagsveranstaltungen. Der Punkt ist, daß die Verantwortung vor Ort liegt und nicht so leicht weggeschoben werden kann. Jeder in der Stadt weiß, wie sie ihre Mitarbeiter behandeln - und das beeinflußt ihr Ansehen, wie andere von ihnen denken und ihnen begegnen.
Bildschnitt. Bhopal, Indien, 1984. Beim größtem Chemieunfall der Welt trat Giftgas aus und tötete 10.000 Menschen. Weitere 50.000 sind dauerhaft geschädigt. Obwohl wir nicht wissen, wer sie sind, sind wir auf der sicheren Seite, wenn wir sagen, daß die Aktionäre von Union Carbide anderswo sitzen, an unterschiedlichen Plätzen in der Welt, und daß (obwohl vielleicht einige couragiert genug waren zu protestieren) die große Mehrheit keinerlei Verantwortung empfand für das, was geschah. Auch die Manager von Union Carbide leben und arbeiten weit weg. Was auch immer beschränkte Haftung bedeutet - im gewöhnlichen wie im finanziellen Sinne des Wortes - , es ist weit davon entfernt, mit den Konsequenzen leben zu müssen. Dieser Unterschied hat einen ungeheuren Einfluß darauf, wie unpersönliche Institutionen wie Aktiengesellschaften ihre Geschäfte durchführen können. Es ist entscheidend zu begreifen, daß das Bhopalphänomen nicht primär ein technisches ist, wie man sich gewöhnlich vormacht ("unabdingbares Restrisiko"), sondern eines der Verantwortung - von der immanenten Amoralität der Konzerne. Jenes Gas, das dort austrat, ist derart extrem flüchtig und gefährlich, daß es normalerweise nicht gelagert, sondern sofort in eine stabilere chemische Verbindung überführt wird. Hier aber wurde es unsachgemäß gelagert - ohne Kühlung; die Notfallausrüstung war außer Betrieb; es gab schon früher Probleme und Unfälle, aber die aufgrund dieser Zwischenfälle herausgearbeiteten Empfehlungen waren nicht umgesetzt worden; es gab weder Pläne noch Übungen für eine Notfall-Evakuierung; weder in den Informationsfluß noch in die Notfallplanungen für den Fall eines Gasunfalles waren die örtlichen Behörden einbezogen. ... Und nun stelle man sich vor: wenn die Verantwortlichen von Union Carbide mit ihren Familien neben den Werkshallen gewohnt hätten, hätten diese Bedingungen so fortbestehen können?
Union Carbide entschuldigte sich niemals für den Vorfall, vermutlich, weil dies einige rechtliche Folgen impliziert hätte. Statt dessen streuten leitende Angestellte in Indien das Gerücht, daß ein untergeordneter Angestellter die Katastrophe verursacht habe, aber niemals wurde ein Beweis vorgelegt, der diese These stützte. Diese Unfähigkeit, Schuld einzugestehen, ist genau der Punkt, um den es mir geht: es liegt im Wesen eines großen Konzerns begründet, daß er nicht in der Weise Verantwortung übernehmen kann, wie ein Mensch das könnte. Dr. Rosalie Bertell, Vorsitzende des internationalen medizinischen Bhopal-Ausschusses, wurde 1994 gefragt, inwiefern die Bhopalkatastrophe die Arbeitsweise der Multinationalen in der 3. Welt geändert habe. Ihre Antwort war ernüchternd: "Ich glaube überhaupt nicht, und das ist erschreckend. Ich glaube, die meisten sind der Auffassung, daß Union Carbide noch einmal davongekommen ist, und das trifft möglicherweise zu. Ich glaube der (wirtschaftliche) Effekt war vernachlässigbar." Die Katastrophe kostete Union Carbide keinen Pfennig: das Unternehmen speiste alle Ansprüche mit ganzen 470 Mio $ ab, welche die Versicherungen übernahmen.(6)
Wir beginnen zu verstehen, inwiefern es "ein prinzipieller Zweck von Konzernen ist, die leitenden Manager und die Aktionäre, die den Profit einstreichen, von Verantwortung freizustellen für das was ein transnationaler Konzern tatsächlich macht"(7). Dies ist auch der Grund, warum wir von transnationalen Konzernen sprechen, nicht von multinationalen. Zunächst überwanden die frühen Handelsgesellschaften die lokalen Gebietskörperschaften; heute transferieren die größten und mächtigsten Konzerne die Verantwortlichkeit auf die Nationalstaaten und ihre Bürger. Da sie lediglich auf die Rendite fixiert sind, haben sie gelernt, Nationen und Kommunen gegeneinander auszuspielen, um sich die jeweils günstigsten Handelsbedingungen zu sichern - die größten Steuernachlässe, die geringsten Umweltstandards usw. Dies ist eine bezeichnende Entwicklung: obwohl Konzerne und Nationalstaaten miteinander gewachsen sind, sind sie in einer wichtigen Beziehung auseinander gewachsen. Heute sind die Konzerne freier als die Nationalstaaten, welche in bezug auf ihre Staatsgrenzen und ihre Staatsbürger gebunden sind. Anders die Großkonzerne: sie haben sich neu definiert - lokal wie geschäftlich - und das ist bequem so für sie.
Nun also: was ist eine (Handels-)Gesellschaft? Als Gesellschaft [englisch: corporation] eingerichtet zu werden (inkorporiert; aus dem Lateinischen corpus, corporis, "Körper"), bedeutet selbstverständlich nicht, daß sie einen materiellen Körper annimmt. Man kann nicht auf eine Aktiengesellschaft (AG) mit dem Finger zeigen, da sie keinen physikalischen Standort hat. Zumindest im Prinzip ist eine AG unsterblich. Zwar kann man auf ein Gebäude zeigen, das einer AG gehört, aber dieses Gebäude kann veräußert werden, ohne daß dies den rechtlichen Status der AG tangiert. Alles kann ersetzt werden, alle Beschäftigten, alle Vermögensgegenstände, der Betriebszweck, selbst der Name - dennoch bleibt die AG in ihrem Kern erhalten.
Das liegt daran, daß die AG kein Gegenstand ist, sondern ein Prozeß. Wie der physische Körper von Lebewesen ist die AG ein verschwenderisches System, das äußere Energie (z.B. Rohstoffe) absorbiert und auf unterschiedlichen Wegen (z.B. in der Produktion) prozeßhaft verarbeitet. Um unbegrenzt lange "leben" zu können, muß sein Einkommen seinen Ausgaben gleichkommen. Und wie bei anderen Lebewesen ist dieser Prozeß dem Gesetz der Entropie unterworfen: obwohl Produkte mit einem vermehrten Wert hergestellt werden können wie z.B. Industriegüter oder - für Menschen - ein Kulturprodukt wie ein Buch oder ein Kunstwerk, so wird doch Energie in diesem Prozeß vernutzt.
Es ist schon klar geworden, daß es hier eine Parallele zum menschlichen Leben gibt. Unsere Körper sind auch verschwenderische Systeme, die Energie (aus der Nahrung) absorbieren und sie für körperliche und geistige Tätigkeiten nutzen. Und aus buddhistischer Sicht ist die Parallele sogar noch tiefer, denn in einem wichtigen Aspekt sind auch wir Menschen Fiktionen, wenn man nämlich die buddhistische Lehrmeinung von anatman (Nicht-Selbst) zugrunde legt. Der Buddhismus lehrt, daß unser Selbstbild eine Illusion ist, da unser Gefühl, das "Ich" existiere getrennt von der "Umwelt" eine falsche Ansicht ist. Unser "Ich-Gefühl" beruht auf physikalischen und mentalen Prozessen, die Teil dieser "Umwelt" sind. Obwohl im Gegensatz zum allgemeinen Empfinden und schwer zu verstehen, ist die anatman-Lehre ein Essential in allen buddhistischen Lehrrichtungen, und zur Erleuchtung gehört die Erkenntnis, daß "mein" leer ist, weil "Ich" eine Ausdrucksweise der Umwelt ist.
Diese Ähnlichkeit zwischen Konzernen und Menschen - beide sind "leere" Systeme, die dennoch ein Eigenleben haben - wirft die Frage auf, ob Konzerne die gleichen prinzipiellen Probleme haben wie Menschen. Gemäß dem Buddhismus ist das Wurzelübel menschlicher Probleme die Gier, mitunter wird daneben auch Ignoranz genannt. Ist dies auch das Problem der Konzerne? Es ist die Natur unseres Geistes (oder zumindest eine natürliche Tendenz) niemals mit dem zufrieden zu sein, was wir haben, sondern immer mehr zu wollen. Die Tendenz der Konzerne, nach Wachstum und ständig größeren Profiten zu streben, weist auf ein ähnliches Problem hin. Wenn wir aber die buddhistische Lösung dieses Problems ansehen, fällt uns ein deutlicher Unterschied auf.
Der Unterschied ist, daß Kapitalgesellschaften rechtliche Konstrukte sind. Ihr "Körper" ist ein rechtliches Konzept - und das ist es was sie so gefährlich macht, denn ohne einen natürlichen Körper sind sie ohne jede materielle Verbindung mit dem Planeten Erde und seinen Wesen, mit den Freuden und Verpflichtungen, die aus der dieser Erd-Verbundenheit erwachsen. Man könnte auch sagen, daß die Konzerne unfähig zur Spiritualität sind, da sie keine Seele haben; aber ich denke, das läuft auf dasselbe hinaus. Wie das Beispiel Bhopal zeigt, ist ein Konzern unfähig, Bedauern zu fühlen für das, was er getan hat (er mag sich gelegentlich entschuldigen, aber das gehört zur "Öffentlichkeitsarbeit" und ist keine [menschliche] Trauer). Eine Kapitalgesellschaft kann weder lachen noch weinen, sie kann die Welt nicht genießen oder mit ihr leiden. Und vor allem kann eine Kapitalgesellschaft keine Liebe empfinden. Liebe ist, wenn wir erkennen, wie wir mit anderen verbunden sind und wie wir uns für deren Wohlergehen einsetzen können. Solche Liebe ist nicht einfach eine Emotion, sondern ein Engagement, das Verantwortung für andere übernimmt; eine Verantwortlichkeit, die - wenn sie ursprünglich ist - unsere egoistischen Interessen überwindet. Wenn dieses Gefühl für Verantwortung nicht vorhanden ist, kann Liebe nicht echt sein. Aktiengesellschaften können solche Liebe weder empfinden, noch dementsprechend leben, nicht nur da sie immateriell sind, sondern auch wegen ihrer primären Ausrichtung an den Interessen der Aktionäre. Ein Konzern-Manager, der versucht, die Profitinteressen seiner Liebe zur Welt unterzuordnen, würde rasch seine Position verlieren, da sie sich nicht an den Aktionärsinteressen orientiert.
Oder etwas mehr in buddhistischen Termini ausgedrückt: trotz der Rede von "aufgeklärten" [engl.: enlightened] Konzernen, die wir manchmal hören, kann eine AG niemals spirituell erleuchtet [engl.: enlightened] sein. Buddhistische Erleuchtung beinhaltet die Erkenntnis, daß meine Theorie, wonach "Ich" getrennt von der "Umwelt" existiere, eine Fehleinschätzung ist, die Probleme für mich und die Welt erzeugt. Zu erkennen, daß ich die Welt bin, daß ich eine der vielen Arten bin, in der sich die Welt manifestiert, ist der kognitive Teil der Liebe, die eine solche Person für die Welt und alle Wesen empfindet. Damit sind Erkenntnis und Liebe zwei Seiten ein- und derselben Medaille. Rechtliche Konstrukte können diese Erfahrung sowenig machen wie z.B. Computer.
Dies zeigt uns die ganze Tragik der heutigen ökonomischen Globalisierung auf: in immer stärkerem Maße liegt das Schicksal des Planeten Erde in den Händen unpersönlicher Institutionen, die - aufgrund ihrer rechtlichen Konstruktion - nicht motiviert sind für die Wohlfahrt der Bewohner dieses Planeten, sondern für die Gier nach Wachstum und Profit. "Wir fordern diejenigen auf, die Konzern-Macht und -Eigentum in Händen halten - so wie Menschen die Könige früherer Tage aufforderten -, gut zu sein und freundlich, weise und lieb, aber wir rufen vergeblich. ..."(8) Es liegt in der "Natur" von Konzernen, daß sie nicht in der Weise verantwortlich sein können, wie wir es brauchen; die unpersönliche Art und Weise, in der sie angeeignet und organisiert werden, garantiert geradezu, daß solche Verantwortung derart verdünnt und verwischt wird, bis sie sich schließlich tendenziell auflöst.
Nun mag man einwenden es gäbe auch ehrenwerte Unternehmen, die sich um ihre Beschäftigten kümmern, sich für ihre Produkte verantwortlich fühlen, für die ökologischen Auswirkungen einstehen usw. Das gleiche Argument kann aber auch zugunsten der Sklaverei herhalten: es gab nette Sklavenhalter, die sich um ihre Sklaven kümmerten. Das widerlegt natürlich nicht das Argument, daß die Sklaverei als Herrschaftsform unerträglich ist. Diese Analogie ist nicht abwegig. "Es ist unerträglich, daß die entscheidenden Fragen betreffend des menschlichen Lebensunterhaltes allein auf der Basis des Profits der transnationalen Konzerne entschieden werden"(9), und es ist genauso unerträglich, daß über die begrenzten Ressourcen dieses Planeten ebenso auf der Basis des Konzernprofits entschieden wird.
Der Schluß, den ich als Buddhist daraus ziehe, ist, daß transnationale Konzerne generell problematisch sind. Wir können die Probleme nicht dadurch lösen, indem wir uns an dieser oder jener Maßnahme eines einzelnen Konzerns reiben; es ist die Institution selbst, die das Problem darstellt. Ich sehe - bei der gegebenen Struktur - nicht, wie wir den Mangel an Mitgefühl beheben können. Also müssen wir entscheiden, ob es die Möglichkeit gibt, sie fundamental zu reformieren, oder ob wir sie durch bessere wirtschaftliche und politische Einrichtungen ablösen müssen - besser, insofern diese dann Verantwortung tragen nicht gegenüber anonymen Investoren, sondern gegenüber den sozialen Gemeinschaften, in denen sie wirken. Besser, insofern sie nicht durch Profitdenken angetrieben werden, sondern vom Gedanken des Dienstes am Planeten Erde und den Wesen, die ihn bevölkern. Solange aber Kapitalgesellschaften die Speerspitze der ökonomischen Globalisierung bleiben, gefährden sie die Zukunft unserer Kinder und der Welt, in der sie leben werden.
ANMERKUNGEN
(1) Richard Grossman, "Revoking the Corporation", Journal of Environmental Law and Litigation (1996) Bd. 11, S. 143.
(2) "Corporate Empires", Multinational Monitor 17, Nr. 12 (Dezember 1996). Die Information stammt aus dem "Forbes Magazine and the World Bank's World Development Report for 1996".
(3) Jerry Mander, "Corporations as Machines", in Jonathan Greenberg und William Kistler (Hrsg.), Buying America Back (Council Oak Books, 1992), S. 295.
(4) Die Vereinigten Staaten entstanden aus einer Revolte gegen Gesellschaften, die von englischen Königen als Instrumente mißbräuchlicher Macht benutzt worden waren. Die neue Republik war zutiefst argwöhnisch sowohl gegenüber Regierung als auch gegenüber Gesellschafts-Macht. Gesellschaften wurden von den [einzelnen] Bundesstaaten beauftragt und nicht von der Bundesregierung (die Verfassung der Vereinigten Staaten erwähnt sie nicht), so daß sie unter strenger örtlicher Aufsicht gehalten werden konnten. Die Dauer von Gesellschafts-Einsätzen war zeitlich begrenzt, und diese Gesellschaften wurden automatisch aufgelöst, wenn ihr Einsatz nicht erneuert wurde oder wenn sie sich in Aktivitäten außerhalb ihres offiziellen Engagements betätigten. Um 1800 gab es nur etwa 200 Gesellschaften [engl.: corporate charters]. Das folgende Jahrhundert war eine Periode großer Auseinandersetzungen zwischen Gesellschaften bzw. Konzernen und der Zivilgesellschaft. Den Wendepunkt bildete der Bürgerkrieg von 1861-1865. Mit riesigen Profiten aus Beschaffungs-Verträgen gelang es den Konzernen, aus der Unordnung und Korruption der Zeitläufe Vorteil zu ziehen und Gesetzgeber, Richter und sogar Präsidenten zu kaufen. Lincoln klagte kurz vor seinem Tod: "Konzerne sind auf den Thron gesetzt worden ... Eine Ära der Korruption von großem Ausmaß wird folgen und die Macht des Geldes wird sich bemühen, ihre Herrschaft zu verlängern, indem sie die Vorurteile des Volkes bedient ... bis der Reichtum in wenigen Händen angehäuft ... und die Republik zugrunde gerichtet ist". Rutherford Hayes, der im Jahr 1876 Präsident wurde, und zwar aufgrund einer nicht einwandfreien Wahl, die von Gesellschaften im Hintergrund dominiert wurde, erklärte später: "dieses ist nicht länger eine Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk. Es ist eine Regierung der Konzerne, durch Konzerne und für Konzerne [engl: corporations]." Nach und nach erlangten die Konzerne genügend Einfluß, um die Gesetze umschreiben zu lassen, die ihre Gründung geregelt hatten: die [einzel]staatlichen Gesellschaften konnten nicht mehr aufgehoben werden, sie konnten sich in jedwedem ökonomischen Bereich engagieren usw. Ihren größten Erfolg erzielten sie 1886, als der Oberste Gerichtshof (in Sachen Santa Clara County gegen Southern Pacific Railroad) feststellte, daß eine private Gesellschaft eine "natürliche Person" im Rahmen der US-Verfassung sei und deshalb das Recht auf den gesamten Schutz der Grundrechte habe, eingeschlossen die freie Rede. Auf der Grundlage der gewaltigen finanziellen Möglichkeiten der Konzerne, diese Rechte zu verteidigen und auszubeuten, bedeutete dies im Ergebnis, daß Konzerne heute freier und ungehinderter sind als irgendein Bürger. Zusammengefaßt gab es während und nach dem Bürgerkrieg einen Staatsstreich - nicht eine militärische Übernahme, sondern eine illegale Perversion der Einrichtungen staatlicher Macht. Seither sind die Vereinigten Staaten - mit Ausnahme einer zeitlich begrenzten Verzögerung während Roosevelt´s New Deal in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts - von einer Allianz aus Konzernen und Staat regiert worden.
(5) "Inside the Money Chase", The Nation, 5. Mai 1997, S. 25.
(6) Die Informationen über die Bhopal-Katastrophe stammen aus "The Bhopal Legacy: An Interview with Dr. Rosalie Bertell", Multinational Monitor 18, Nr. 3 (März 1997).
(7) Richard Grossman, "Corporations' Accountability and Responsibility", unveröffentlicht.
(8) Henry Demarest Lloyd, Wealth against Commonwealth (New York: 1894), S. 517.
(9) Herman E. Daly and John B. Cobb, Jr., For the Common Good (Boston: Beacon Press, 2nd ed. 1994), S. 178.
(Juli 1997)
David R. Loy /Faculty of International Studies, 1100 Namegaya, Bunkyo University, Chigasaki 253, Japan,
Aus dem Englischen übersetzt von Lothar Lehmann, abgedruckt in: BuddhaNetzInfo, Nr. 2, Hanau, Frühjahr 1998, S. 11-15. - Die Kürzungen in diesem Druck wurden zusammen mit den Anmerkungen aus dem Originaltext übersetzt und eingefügt von Klaus Kaczerowsky. Titel des Originaltexts: "A Buddhist Critique of Transnational Corporations" Erstveröffentlichung im Internet siehe oben. (Anm. K.K.: Später hat der Autor seinem Artikel eine neue Überschrift gegeben: "Can Corporations Become Enlightened? Buddhist Reflections on TNCs" [TNC = Transnational Corporation]).
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Eine buddhistische Kritik
von David Loy
Wir haben den Konzernen die Macht gegeben über alles, was unser Leben ausmacht. Sie sind aufgestiegen zu souveränen Bürgern, wir aber wurden zu Konsumenten degradiert. In ihren Händen sind Macht und Reichtum konzentriert. Sie formen und gestalten unsere Gesellschaft und unsere Welt. Sie gestalten unsere Ziele und unsere Sehnsüchte. Sie geben uns unsere Gedanken und unsere Sprache vor. Sie erschaffen die Sinnbilder und Metaphern unserer Zeit, die unsere Kinder benutzen, um die Welt, in der sie leben, sowie sich selbst zu definieren. Mit anderen Worten: genau das, was die Großkonzerne gekonnt machen, das was ihre Aufgabe ist, das ist das Kernproblem.(1)
Was ist Globalisierung und was bedeutet sie für unser Leben? Auf diese Frage ist eine einfache Antwort nicht möglich, da es die Globalisierung schlechthin nicht gibt. Globalisierung ist vielmehr ein komplexes Geflecht sich gegenseitig beeinflussender Entwicklungen, und zwar ökonomisch, politisch, technologisch und kulturell. Dieser Artikel versucht, eine buddhistische Perspektive auf das zu entwickeln, was möglicherweise die wichtigste Triebkraft der Globalisierung ist, auf eine Institution, die mehr tatsächlichen Einfluß hat auf unser Leben als irgendeine andere (vielleicht abgesehen von den Regierungen): die Konzerne, insbesondere die transnationalen. Ich möchte mich dem, was Konzerne sind, von einer religiösen, insbesondere einer buddhistischen Perspektive nähern. Trotz ihres enormen und ständig wachsenden Einflusses auf uns wissen wir überraschend wenig über sie, nämlich über das, was sie in Wirklichkeit sind und warum sie in der Weise wirken, wie sie wirken. 1995 waren nur noch 49 der 100 größten Wirtschaftssubjekte Staaten, die anderen 51 waren Konzerne. Malaysia war Nr. 53, größer als Masushita (54), aber etwas kleiner als IBM (52); Mitsubishi, der nach dieser Liste größte Konzern, lag auf Platz 22. Die Gesamtumsätze der 200 führenden transnationalen Konzerne waren größer als das Bruttosozialprodukt von 182 Staaten - allen außer den 9 führenden Nationen. Das entspricht etwa 30% des Weltsozialprodukts. Dennoch beschäftigen diese Konzerne weniger als den dritten Teil eines einzigen Prozentes der Weltbevölkerung - Tendenz: sinkend.(2)
In den USA kaufen die 100 größten Konzerne etwa 75% der Sendezeit aller kommerziellen Sender und außerdem mehr als 50% der öffentlichen Fernsehzeit.(3) Das bedeutet, daß sie entscheiden, was im Fernsehen gezeigt wird und was nicht, das Fernsehen ist ihr Privatmedium geworden. Konzernfusionen und -verflechtungen bedeuten dann auch, daß die Radiostationen, Zeitungen und Verlagshäuser einer schrumpfenden Zahl von Zusammenschlüssen gehören, bei einem Anstieg der Wichtigkeit, bestimmte Profitmargen zu erfüllen. Kurz gesagt: Konzerne kontrollieren das "Nervensystem" der USA und in wachsendem Maße unser internationales System genauso. Um so verwunderlicher ist es, daß wir relativ wenig von dem hören, was die Konzerne tun - offensichtlich ist ihnen das ganz recht so. Zeitungen und Nachrichtensendungen sind voll von den Reden und Treffen der Regierungsmitglieder - und das, obwohl deren Einfluß durch die Globalisierung der Weltwirtschaft ständig reduziert wird. Der zentrale Punkt dieses Artikels ist der: heute sind, dank des Siegeszuges demokratischer Ideale, die Staaten in wachsendem Maße den Bürgern verantwortlich, aber wem sind eigentlich die Konzerne verantwortlich?
Eines unserer Probleme heute ist die Tatsache, daß wir in der ausschließlichen Beschäftigung mit dem gegenwärtigen Konsum und zukünftigen Möglichkeiten in Gefahr sind, die Vergangenheit zu verlieren, d.h. unseren Sinn für Geschichte. Wenn man etwas verstehen will, ist es das erste, auf seine Geschichte zu schauen, die bestimmte Aspekte erhellen kann, die wir andernfalls übersehen oder mißverstehen. ... Ich hoffe also, daß Sie mir gestatten, einen kurzen geschichtlichen Überblick zu bieten. Was lehrt uns die Geschichte über Konzernverantwortung?
Eingetragene Handelsgesellschaften mit gesetzlicher Haftungsbeschränkung gab es zunächst in Europa. Der erste Bericht über eine solche Gesellschaft, den ich bei meinen Recherchen fand, datiert aus Florenz im Jahre 1532. Sowohl Ort als auch Zeit sind äußerst interessant. 1492 "entdeckte" Kolumbus Amerika, 1498 gelang Vasco da Gama die Afrika-Umseglung, von der er mit Fracht im Wert des 60-fachen der Reisekosten zurückkehrte. 6000% Profit! Man kann sich vorstellen, wie das die Phantasie der italienischen Kaufleute beflügelte! Allerdings hatte die Sache gleich mehrere Haken. Erstens war die Ausrüstung einer solchen Expedition extrem teuer, so daß nur wenige Leute es sich leisten konnten, so etwas selbst zu unternehmen. Zweitens waren solche Reisen äußerst riskant, die Wahrscheinlichkeit eines Totalverlustes durch Sturm oder Piraten war beträchtlich. Und drittens gab es Schuldtürme - Gefängnis nicht nur für die Schuldner selbst, sondern für die ganze Familie inkl. aller Nachkommen, wenn man das Schiff verlor und die Schulden nicht bezahlen konnte.
Die Lösung dieser Probleme war ebenso einfach wie genial: gesetzliche Haftungsbeschränkung. Statt mit dem gesamten Vermögen wurde nur noch mit dem investierten Kapital gehaftet. Ein solches Arrangement wurde durch eine spezielle staatliche Urkunde verbrieft, im Italien der Renaissance also vom jeweiligen Fürsten. Dies hatte für beide Seiten Vorteile, nicht nur für den Investor, sondern auch für den Fürsten, denn eine erfolgreiche Unternehmung ließ den Einfluß des Fürstentums steigen - und natürlich wurde der Fürst auch am Profit beteiligt.
Was zeigt uns das? Erstens, daß von Anbeginn an Handelsgesellschaften und Kolonialismus bzw. koloniale Ausbeutung zwei Seiten der gleichen Medaille waren - ein Prozeß, der auch im heutigen neokolonialen System noch andauert, wo noch immer Reichtum von Süden nach Norden umverteilt wird. Die Kapitalgesellschaften sind noch immer die Triebkraft dieses Prozesses, auch wenn ihnen Weltbank und IWF (Internationaler Währungs-Fond) dabei nach Kräften helfen.
Zweitens zeigt es, daß die Kapitalgesellschaften von Anbeginn an eine geradezu inzestuöse Verbindung mit dem Staat eingegangen sind. Im 16. Jahrhundert haben keine Nationalstaaten existiert, wie wir sie kennen. Fürsten waren im allgemeinen in ihren Mitteln zu beschränkt, um die Art von Herrschaft auszuüben, die wie heute für selbstverständlich halten. Der Staat, wie wir ihn - sich politisch selbstabgrenzend und selbsterweiternd - kennen, entwickelte sich zugleich mit der fürstlich oder königlich eingesetzten Handelsgesellschaft. Man kann sogar sagen, daß sie ein Siamesischer Zwilling waren: zwangsläufig miteinander verbunden. Insbesondere ermöglichte es der enorme Reichtum, der aus der Neuen Welt herausgezogen wurde, den Staaten, immer mächtiger und kühner zu werden; und die Herrscher förderten diesen Prozeß, indem sie Armeen und Flotten ausschickten, um fremde Länder zu "befrieden". Das deutet darauf hin, daß da ein dritter Partner mit den beiden anderen heranwuchs: das moderne Militär. Zusammen bildeten sie eine "unheilige Dreieinigkeit" mit Hilfe der neuen Technologien: dem Schießpulver, dem Kompaß (für die Navigation) sowie diesem cleveren neuen Typ von geschäftlicher Organisation, der das finanzielle Risiko minimierte. Kurz gesagt, der moderne Nationalstaat und sein Militär wuchsen, indem sie sich auf dem gleichen Weg wie die beauftragten Handelsgesellschaften von kolonialer Ausbeutung ernährten.(4)
Dieser Inzest muß betont werden, denn wir tendieren dazu, ihn zu vergessen. Wir unterscheiden zwischen der Regierung und der Wirtschaft, aber an der Spitze gibt es gewöhnlich kaum effektive Distanz zwischen beiden. Heutzutage erhalten die Regierungen immer noch ihren fürstlichen Anteil an der Beute - der heißt jetzt Steuern. Einerseits müssen die Staaten heute Konzern-Geschäfte fördern, weil sie in zuhälterischer Weise von dieser Einkunfts-Quelle abhängig geworden sind. Auf der anderen Seite gedeihen die transnationalen Konzerne auf der Grundlage spezieller Gesetze und Vereinbarungen, mit denen die Staaten ihre Aktivitäten fördern. Dan Hamburg, ein ehemaliger Demokratischer Vertreter aus Kalifornien, folgerte aus seinen Tätigkeits-Jahren im USA-Kongreß: "Die tatsächliche Regierung unseres Landes ist die Wirtschaft, dominiert von großen Konzernen, die den Staat dafür anheuern, ihre Vorgaben zu erfüllen. Ein sicheres Umfeld zu hegen, in dem Konzerne und ihre Investoren florieren können, das ist das Hauptziel beider [politischen] Parteien."(5) Das gleiche gilt auch international. Fast überall bedeutet Globalisierung, daß die Interessen von Politikern, die Nationen beherrschen, immer mehr mit denen, die die Konzerne beherrschen, eng ineinander verschlungen sind. In den meisten Ländern bewegt sich die Elite ganz leicht von der einen zur anderen Seite hin und her, vom Konzern-Management auf einen Kabinettsposten und wieder zurück; ganz selbstverständlich identifizieren sie sich dabei mit dem gegenseitigen Interesse. Man denke z.B. nur daran, wie sehr die Außenpolitik der USA heute von dem Verlangen bestimmt wird, fremde Märkte (sowie Rohmaterialien, billige Arbeitskräfte usw.) für das Eindringen von US-Konzernen zu erschließen. Gelegentlich hat es Ausnahmen von dieser traulichen Verwandtschaft gegeben - z.B. durch aufrichtige Volkshelden -, aber sie dauern gewöhnlich nicht sehr lange.
Zurück zur Frage der Konzernverantwortung. Eine königliche Urkunde listete die Privilegien einer Handelsgesellschaft ebenso auf wie ihre Verantwortlichkeiten. Seither, so kann man sagen, ist die Handelsgeschichte eine Geschichte des Aufblähens der Privilegien und des Schrumpfens der Verantwortung. Ein wichtiger Schritt, um diese Verantwortung abzubauen, war die Einrichtung der Aktiengesellschaft; die erste englische wurde 1553 gegründet. Die Anteile an einer Gesellschaft konnten nun frei gekauft und wieder verkauft werden, sogar an irgendjemand in einem fremden Land. Der Aktienmarkt ist seither natürlich ein wesentliches Kennzeichen jeder entwickelten Wirtschaft sowie auch der meisten sich entwickelnden geworden. Man beachte jedoch die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Verantwortung - auf die ethischen Konsequenzen geschäftlicher Aktivitäten. Kraft Gesetzes gilt die primäre Verantwortung einer Aktiengesellschaft keineswegs den Beschäftigten oder den Kunden, sondern den Aktionären, denn letztendlich gehört ihnen die Gesellschaft. Was aber bedeutet es, wenn diese Aktionäre anonym sind, hier und dort verstreut, meist weitab wohnen und kein anderes Interesse haben, als die Rendite?
Vergleichen wir diese Situation mit einem kleinen Unternehmen im Besitz von Ortsansässigen. Angenommen, sie sind Handwerksmeister in einer vorindustriellen Gesellschaft. Gehen die Geschäfte gut, haben sie etliche Angestellte, Gesellen und Lehrlinge beschäftigt. Sie und ihre Familie leben neben der Werkstatt, ihre Ehefrau trifft die Frauen der Mitarbeiter, ihre Kinder spielen mit deren Kinder, vielleicht besuchen sie den Unterricht beim gleichen Lehrer. Alle nehmen am gleichen Gottesdienst teil, haben die gleichen Feiertagsveranstaltungen. Der Punkt ist, daß die Verantwortung vor Ort liegt und nicht so leicht weggeschoben werden kann. Jeder in der Stadt weiß, wie sie ihre Mitarbeiter behandeln - und das beeinflußt ihr Ansehen, wie andere von ihnen denken und ihnen begegnen.
Bildschnitt. Bhopal, Indien, 1984. Beim größtem Chemieunfall der Welt trat Giftgas aus und tötete 10.000 Menschen. Weitere 50.000 sind dauerhaft geschädigt. Obwohl wir nicht wissen, wer sie sind, sind wir auf der sicheren Seite, wenn wir sagen, daß die Aktionäre von Union Carbide anderswo sitzen, an unterschiedlichen Plätzen in der Welt, und daß (obwohl vielleicht einige couragiert genug waren zu protestieren) die große Mehrheit keinerlei Verantwortung empfand für das, was geschah. Auch die Manager von Union Carbide leben und arbeiten weit weg. Was auch immer beschränkte Haftung bedeutet - im gewöhnlichen wie im finanziellen Sinne des Wortes - , es ist weit davon entfernt, mit den Konsequenzen leben zu müssen. Dieser Unterschied hat einen ungeheuren Einfluß darauf, wie unpersönliche Institutionen wie Aktiengesellschaften ihre Geschäfte durchführen können. Es ist entscheidend zu begreifen, daß das Bhopalphänomen nicht primär ein technisches ist, wie man sich gewöhnlich vormacht ("unabdingbares Restrisiko"), sondern eines der Verantwortung - von der immanenten Amoralität der Konzerne. Jenes Gas, das dort austrat, ist derart extrem flüchtig und gefährlich, daß es normalerweise nicht gelagert, sondern sofort in eine stabilere chemische Verbindung überführt wird. Hier aber wurde es unsachgemäß gelagert - ohne Kühlung; die Notfallausrüstung war außer Betrieb; es gab schon früher Probleme und Unfälle, aber die aufgrund dieser Zwischenfälle herausgearbeiteten Empfehlungen waren nicht umgesetzt worden; es gab weder Pläne noch Übungen für eine Notfall-Evakuierung; weder in den Informationsfluß noch in die Notfallplanungen für den Fall eines Gasunfalles waren die örtlichen Behörden einbezogen. ... Und nun stelle man sich vor: wenn die Verantwortlichen von Union Carbide mit ihren Familien neben den Werkshallen gewohnt hätten, hätten diese Bedingungen so fortbestehen können?
Union Carbide entschuldigte sich niemals für den Vorfall, vermutlich, weil dies einige rechtliche Folgen impliziert hätte. Statt dessen streuten leitende Angestellte in Indien das Gerücht, daß ein untergeordneter Angestellter die Katastrophe verursacht habe, aber niemals wurde ein Beweis vorgelegt, der diese These stützte. Diese Unfähigkeit, Schuld einzugestehen, ist genau der Punkt, um den es mir geht: es liegt im Wesen eines großen Konzerns begründet, daß er nicht in der Weise Verantwortung übernehmen kann, wie ein Mensch das könnte. Dr. Rosalie Bertell, Vorsitzende des internationalen medizinischen Bhopal-Ausschusses, wurde 1994 gefragt, inwiefern die Bhopalkatastrophe die Arbeitsweise der Multinationalen in der 3. Welt geändert habe. Ihre Antwort war ernüchternd: "Ich glaube überhaupt nicht, und das ist erschreckend. Ich glaube, die meisten sind der Auffassung, daß Union Carbide noch einmal davongekommen ist, und das trifft möglicherweise zu. Ich glaube der (wirtschaftliche) Effekt war vernachlässigbar." Die Katastrophe kostete Union Carbide keinen Pfennig: das Unternehmen speiste alle Ansprüche mit ganzen 470 Mio $ ab, welche die Versicherungen übernahmen.(6)
Wir beginnen zu verstehen, inwiefern es "ein prinzipieller Zweck von Konzernen ist, die leitenden Manager und die Aktionäre, die den Profit einstreichen, von Verantwortung freizustellen für das was ein transnationaler Konzern tatsächlich macht"(7). Dies ist auch der Grund, warum wir von transnationalen Konzernen sprechen, nicht von multinationalen. Zunächst überwanden die frühen Handelsgesellschaften die lokalen Gebietskörperschaften; heute transferieren die größten und mächtigsten Konzerne die Verantwortlichkeit auf die Nationalstaaten und ihre Bürger. Da sie lediglich auf die Rendite fixiert sind, haben sie gelernt, Nationen und Kommunen gegeneinander auszuspielen, um sich die jeweils günstigsten Handelsbedingungen zu sichern - die größten Steuernachlässe, die geringsten Umweltstandards usw. Dies ist eine bezeichnende Entwicklung: obwohl Konzerne und Nationalstaaten miteinander gewachsen sind, sind sie in einer wichtigen Beziehung auseinander gewachsen. Heute sind die Konzerne freier als die Nationalstaaten, welche in bezug auf ihre Staatsgrenzen und ihre Staatsbürger gebunden sind. Anders die Großkonzerne: sie haben sich neu definiert - lokal wie geschäftlich - und das ist bequem so für sie.
Nun also: was ist eine (Handels-)Gesellschaft? Als Gesellschaft [englisch: corporation] eingerichtet zu werden (inkorporiert; aus dem Lateinischen corpus, corporis, "Körper"), bedeutet selbstverständlich nicht, daß sie einen materiellen Körper annimmt. Man kann nicht auf eine Aktiengesellschaft (AG) mit dem Finger zeigen, da sie keinen physikalischen Standort hat. Zumindest im Prinzip ist eine AG unsterblich. Zwar kann man auf ein Gebäude zeigen, das einer AG gehört, aber dieses Gebäude kann veräußert werden, ohne daß dies den rechtlichen Status der AG tangiert. Alles kann ersetzt werden, alle Beschäftigten, alle Vermögensgegenstände, der Betriebszweck, selbst der Name - dennoch bleibt die AG in ihrem Kern erhalten.
Das liegt daran, daß die AG kein Gegenstand ist, sondern ein Prozeß. Wie der physische Körper von Lebewesen ist die AG ein verschwenderisches System, das äußere Energie (z.B. Rohstoffe) absorbiert und auf unterschiedlichen Wegen (z.B. in der Produktion) prozeßhaft verarbeitet. Um unbegrenzt lange "leben" zu können, muß sein Einkommen seinen Ausgaben gleichkommen. Und wie bei anderen Lebewesen ist dieser Prozeß dem Gesetz der Entropie unterworfen: obwohl Produkte mit einem vermehrten Wert hergestellt werden können wie z.B. Industriegüter oder - für Menschen - ein Kulturprodukt wie ein Buch oder ein Kunstwerk, so wird doch Energie in diesem Prozeß vernutzt.
Es ist schon klar geworden, daß es hier eine Parallele zum menschlichen Leben gibt. Unsere Körper sind auch verschwenderische Systeme, die Energie (aus der Nahrung) absorbieren und sie für körperliche und geistige Tätigkeiten nutzen. Und aus buddhistischer Sicht ist die Parallele sogar noch tiefer, denn in einem wichtigen Aspekt sind auch wir Menschen Fiktionen, wenn man nämlich die buddhistische Lehrmeinung von anatman (Nicht-Selbst) zugrunde legt. Der Buddhismus lehrt, daß unser Selbstbild eine Illusion ist, da unser Gefühl, das "Ich" existiere getrennt von der "Umwelt" eine falsche Ansicht ist. Unser "Ich-Gefühl" beruht auf physikalischen und mentalen Prozessen, die Teil dieser "Umwelt" sind. Obwohl im Gegensatz zum allgemeinen Empfinden und schwer zu verstehen, ist die anatman-Lehre ein Essential in allen buddhistischen Lehrrichtungen, und zur Erleuchtung gehört die Erkenntnis, daß "mein" leer ist, weil "Ich" eine Ausdrucksweise der Umwelt ist.
Diese Ähnlichkeit zwischen Konzernen und Menschen - beide sind "leere" Systeme, die dennoch ein Eigenleben haben - wirft die Frage auf, ob Konzerne die gleichen prinzipiellen Probleme haben wie Menschen. Gemäß dem Buddhismus ist das Wurzelübel menschlicher Probleme die Gier, mitunter wird daneben auch Ignoranz genannt. Ist dies auch das Problem der Konzerne? Es ist die Natur unseres Geistes (oder zumindest eine natürliche Tendenz) niemals mit dem zufrieden zu sein, was wir haben, sondern immer mehr zu wollen. Die Tendenz der Konzerne, nach Wachstum und ständig größeren Profiten zu streben, weist auf ein ähnliches Problem hin. Wenn wir aber die buddhistische Lösung dieses Problems ansehen, fällt uns ein deutlicher Unterschied auf.
Der Unterschied ist, daß Kapitalgesellschaften rechtliche Konstrukte sind. Ihr "Körper" ist ein rechtliches Konzept - und das ist es was sie so gefährlich macht, denn ohne einen natürlichen Körper sind sie ohne jede materielle Verbindung mit dem Planeten Erde und seinen Wesen, mit den Freuden und Verpflichtungen, die aus der dieser Erd-Verbundenheit erwachsen. Man könnte auch sagen, daß die Konzerne unfähig zur Spiritualität sind, da sie keine Seele haben; aber ich denke, das läuft auf dasselbe hinaus. Wie das Beispiel Bhopal zeigt, ist ein Konzern unfähig, Bedauern zu fühlen für das, was er getan hat (er mag sich gelegentlich entschuldigen, aber das gehört zur "Öffentlichkeitsarbeit" und ist keine [menschliche] Trauer). Eine Kapitalgesellschaft kann weder lachen noch weinen, sie kann die Welt nicht genießen oder mit ihr leiden. Und vor allem kann eine Kapitalgesellschaft keine Liebe empfinden. Liebe ist, wenn wir erkennen, wie wir mit anderen verbunden sind und wie wir uns für deren Wohlergehen einsetzen können. Solche Liebe ist nicht einfach eine Emotion, sondern ein Engagement, das Verantwortung für andere übernimmt; eine Verantwortlichkeit, die - wenn sie ursprünglich ist - unsere egoistischen Interessen überwindet. Wenn dieses Gefühl für Verantwortung nicht vorhanden ist, kann Liebe nicht echt sein. Aktiengesellschaften können solche Liebe weder empfinden, noch dementsprechend leben, nicht nur da sie immateriell sind, sondern auch wegen ihrer primären Ausrichtung an den Interessen der Aktionäre. Ein Konzern-Manager, der versucht, die Profitinteressen seiner Liebe zur Welt unterzuordnen, würde rasch seine Position verlieren, da sie sich nicht an den Aktionärsinteressen orientiert.
Oder etwas mehr in buddhistischen Termini ausgedrückt: trotz der Rede von "aufgeklärten" [engl.: enlightened] Konzernen, die wir manchmal hören, kann eine AG niemals spirituell erleuchtet [engl.: enlightened] sein. Buddhistische Erleuchtung beinhaltet die Erkenntnis, daß meine Theorie, wonach "Ich" getrennt von der "Umwelt" existiere, eine Fehleinschätzung ist, die Probleme für mich und die Welt erzeugt. Zu erkennen, daß ich die Welt bin, daß ich eine der vielen Arten bin, in der sich die Welt manifestiert, ist der kognitive Teil der Liebe, die eine solche Person für die Welt und alle Wesen empfindet. Damit sind Erkenntnis und Liebe zwei Seiten ein- und derselben Medaille. Rechtliche Konstrukte können diese Erfahrung sowenig machen wie z.B. Computer.
Dies zeigt uns die ganze Tragik der heutigen ökonomischen Globalisierung auf: in immer stärkerem Maße liegt das Schicksal des Planeten Erde in den Händen unpersönlicher Institutionen, die - aufgrund ihrer rechtlichen Konstruktion - nicht motiviert sind für die Wohlfahrt der Bewohner dieses Planeten, sondern für die Gier nach Wachstum und Profit. "Wir fordern diejenigen auf, die Konzern-Macht und -Eigentum in Händen halten - so wie Menschen die Könige früherer Tage aufforderten -, gut zu sein und freundlich, weise und lieb, aber wir rufen vergeblich. ..."(8) Es liegt in der "Natur" von Konzernen, daß sie nicht in der Weise verantwortlich sein können, wie wir es brauchen; die unpersönliche Art und Weise, in der sie angeeignet und organisiert werden, garantiert geradezu, daß solche Verantwortung derart verdünnt und verwischt wird, bis sie sich schließlich tendenziell auflöst.
Nun mag man einwenden es gäbe auch ehrenwerte Unternehmen, die sich um ihre Beschäftigten kümmern, sich für ihre Produkte verantwortlich fühlen, für die ökologischen Auswirkungen einstehen usw. Das gleiche Argument kann aber auch zugunsten der Sklaverei herhalten: es gab nette Sklavenhalter, die sich um ihre Sklaven kümmerten. Das widerlegt natürlich nicht das Argument, daß die Sklaverei als Herrschaftsform unerträglich ist. Diese Analogie ist nicht abwegig. "Es ist unerträglich, daß die entscheidenden Fragen betreffend des menschlichen Lebensunterhaltes allein auf der Basis des Profits der transnationalen Konzerne entschieden werden"(9), und es ist genauso unerträglich, daß über die begrenzten Ressourcen dieses Planeten ebenso auf der Basis des Konzernprofits entschieden wird.
Der Schluß, den ich als Buddhist daraus ziehe, ist, daß transnationale Konzerne generell problematisch sind. Wir können die Probleme nicht dadurch lösen, indem wir uns an dieser oder jener Maßnahme eines einzelnen Konzerns reiben; es ist die Institution selbst, die das Problem darstellt. Ich sehe - bei der gegebenen Struktur - nicht, wie wir den Mangel an Mitgefühl beheben können. Also müssen wir entscheiden, ob es die Möglichkeit gibt, sie fundamental zu reformieren, oder ob wir sie durch bessere wirtschaftliche und politische Einrichtungen ablösen müssen - besser, insofern diese dann Verantwortung tragen nicht gegenüber anonymen Investoren, sondern gegenüber den sozialen Gemeinschaften, in denen sie wirken. Besser, insofern sie nicht durch Profitdenken angetrieben werden, sondern vom Gedanken des Dienstes am Planeten Erde und den Wesen, die ihn bevölkern. Solange aber Kapitalgesellschaften die Speerspitze der ökonomischen Globalisierung bleiben, gefährden sie die Zukunft unserer Kinder und der Welt, in der sie leben werden.
ANMERKUNGEN
(1) Richard Grossman, "Revoking the Corporation", Journal of Environmental Law and Litigation (1996) Bd. 11, S. 143.
(2) "Corporate Empires", Multinational Monitor 17, Nr. 12 (Dezember 1996). Die Information stammt aus dem "Forbes Magazine and the World Bank's World Development Report for 1996".
(3) Jerry Mander, "Corporations as Machines", in Jonathan Greenberg und William Kistler (Hrsg.), Buying America Back (Council Oak Books, 1992), S. 295.
(4) Die Vereinigten Staaten entstanden aus einer Revolte gegen Gesellschaften, die von englischen Königen als Instrumente mißbräuchlicher Macht benutzt worden waren. Die neue Republik war zutiefst argwöhnisch sowohl gegenüber Regierung als auch gegenüber Gesellschafts-Macht. Gesellschaften wurden von den [einzelnen] Bundesstaaten beauftragt und nicht von der Bundesregierung (die Verfassung der Vereinigten Staaten erwähnt sie nicht), so daß sie unter strenger örtlicher Aufsicht gehalten werden konnten. Die Dauer von Gesellschafts-Einsätzen war zeitlich begrenzt, und diese Gesellschaften wurden automatisch aufgelöst, wenn ihr Einsatz nicht erneuert wurde oder wenn sie sich in Aktivitäten außerhalb ihres offiziellen Engagements betätigten. Um 1800 gab es nur etwa 200 Gesellschaften [engl.: corporate charters]. Das folgende Jahrhundert war eine Periode großer Auseinandersetzungen zwischen Gesellschaften bzw. Konzernen und der Zivilgesellschaft. Den Wendepunkt bildete der Bürgerkrieg von 1861-1865. Mit riesigen Profiten aus Beschaffungs-Verträgen gelang es den Konzernen, aus der Unordnung und Korruption der Zeitläufe Vorteil zu ziehen und Gesetzgeber, Richter und sogar Präsidenten zu kaufen. Lincoln klagte kurz vor seinem Tod: "Konzerne sind auf den Thron gesetzt worden ... Eine Ära der Korruption von großem Ausmaß wird folgen und die Macht des Geldes wird sich bemühen, ihre Herrschaft zu verlängern, indem sie die Vorurteile des Volkes bedient ... bis der Reichtum in wenigen Händen angehäuft ... und die Republik zugrunde gerichtet ist". Rutherford Hayes, der im Jahr 1876 Präsident wurde, und zwar aufgrund einer nicht einwandfreien Wahl, die von Gesellschaften im Hintergrund dominiert wurde, erklärte später: "dieses ist nicht länger eine Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk. Es ist eine Regierung der Konzerne, durch Konzerne und für Konzerne [engl: corporations]." Nach und nach erlangten die Konzerne genügend Einfluß, um die Gesetze umschreiben zu lassen, die ihre Gründung geregelt hatten: die [einzel]staatlichen Gesellschaften konnten nicht mehr aufgehoben werden, sie konnten sich in jedwedem ökonomischen Bereich engagieren usw. Ihren größten Erfolg erzielten sie 1886, als der Oberste Gerichtshof (in Sachen Santa Clara County gegen Southern Pacific Railroad) feststellte, daß eine private Gesellschaft eine "natürliche Person" im Rahmen der US-Verfassung sei und deshalb das Recht auf den gesamten Schutz der Grundrechte habe, eingeschlossen die freie Rede. Auf der Grundlage der gewaltigen finanziellen Möglichkeiten der Konzerne, diese Rechte zu verteidigen und auszubeuten, bedeutete dies im Ergebnis, daß Konzerne heute freier und ungehinderter sind als irgendein Bürger. Zusammengefaßt gab es während und nach dem Bürgerkrieg einen Staatsstreich - nicht eine militärische Übernahme, sondern eine illegale Perversion der Einrichtungen staatlicher Macht. Seither sind die Vereinigten Staaten - mit Ausnahme einer zeitlich begrenzten Verzögerung während Roosevelt´s New Deal in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts - von einer Allianz aus Konzernen und Staat regiert worden.
(5) "Inside the Money Chase", The Nation, 5. Mai 1997, S. 25.
(6) Die Informationen über die Bhopal-Katastrophe stammen aus "The Bhopal Legacy: An Interview with Dr. Rosalie Bertell", Multinational Monitor 18, Nr. 3 (März 1997).
(7) Richard Grossman, "Corporations' Accountability and Responsibility", unveröffentlicht.
(8) Henry Demarest Lloyd, Wealth against Commonwealth (New York: 1894), S. 517.
(9) Herman E. Daly and John B. Cobb, Jr., For the Common Good (Boston: Beacon Press, 2nd ed. 1994), S. 178.
(Juli 1997)
David R. Loy /Faculty of International Studies, 1100 Namegaya, Bunkyo University, Chigasaki 253, Japan,
Aus dem Englischen übersetzt von Lothar Lehmann, abgedruckt in: BuddhaNetzInfo, Nr. 2, Hanau, Frühjahr 1998, S. 11-15. - Die Kürzungen in diesem Druck wurden zusammen mit den Anmerkungen aus dem Originaltext übersetzt und eingefügt von Klaus Kaczerowsky. Titel des Originaltexts: "A Buddhist Critique of Transnational Corporations" Erstveröffentlichung im Internet siehe oben. (Anm. K.K.: Später hat der Autor seinem Artikel eine neue Überschrift gegeben: "Can Corporations Become Enlightened? Buddhist Reflections on TNCs" [TNC = Transnational Corporation]).
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