Mein Bild von der Zukunft
von Robert Aitken Roshi
Dieser Aufsatz ist die für den Druck überarbeitete Fassung eines Vortrags, den Robert Aitken, der Gründer der Diamond Sangha (USA) 1995 in Thailand gehalten hat anlässlich einer Konferenz des International Network of Engaged Buddhists unter dem Thema "Dhammagemäße Gesellschaft - das INEB entdeckt seine Aufgabe" (Dhammic Society: Towards an INEB Vision). Die deutsche Fassung ist um einige Anmerkungen gekürzt. Die englische Originalfassung "Envisioning the Future" ist veröffentlicht unter: Robert Aitken, Original Dwelling Place. Zen Buddhist Essays, Washington D.C.: Counterpoint, 1996 sowie bei: Jonathan Watts (Ed.), Entering the Realm of Reality, Towards Dhammic Societies, INEB Think Sangha, Bangkok, 1997."Klein ist schön". Mit diesem Ausspruch ging es E.F Schumacher (in seinem berühmten Buch: Small ist beautiful) nicht um die Frage der bloßen Größe. "Eine buddhistische Ökonomie muß sich von den Ökonomien des modernen Materialismus stark unterscheiden", meinte er vielmehr. "Der Buddhist sieht das Wesen der Zivilisation nicht in der Vervielfältigung der Bedürfnisse, sondern in der Bereinigung der menschlichen Persönlichkeit."1
Schumacher ruft damit die Wort-Herkunft von "Zivilisation" in Erinnerung, die den Prozeß meint, wie jemand zivilisiert, also ein wirklicher Mensch wird. Viele vernachlässigen diese alte Weisheit der Worte in ihrer Sucht, sich Dinge anzueignen und zu konsumieren. Aber solche mit einer gewissen Kultur des Herzens sehen sich in all den Sachzwängen gefangen, die ihre Zeit und Energie für die Ernährung ihrer Familie beanspruchen. Während das System der Aneignung blüht, kündigt sich jedoch sein Zusammenbruch durch Epidemien, Hungersnöte, Krieg und die Plünderung der Erde und ihrer Wälder, des Wassers und der Luft an.
Ich sehe vor mir, wie weltweite die Krise immer mehr anwächst, weil Manager und ihre multinationalen Systeme die begrenzten menschlichen und natürlichen Ressourcen immer weiter ausplündern. Große Konzerne, unterstützt durch ebenso große Finanzinstitute, spülen menschliche Behausungen und die Behausungen Tausender anderer Spezies erheblich skrupelloser und in viel größerem Maßstab weg, als dies die Goldgräber taten, die einst ganze Berge in Kalifornien weggewaschen haben. Internationale Konsortien herrschen in souveräner Weise über alle politischen Instanzen. Präsidenten und Parlamente und selbst die Vereinten Nationen nehmen abgeleitete Entscheidungskompetenzen wahr, mit denen sie lediglich bereits getroffene Vereinbarungen absegnen.
Allenthalben verzweifeln wohlmeinende Menschen am politischen Prozeß. Die alte Begeisterung, an Wahltagen wählen zu gehen, hat drastisch abgenommen. In den Vereinigten Staaten gehen in der Regel weniger als 50 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl. Es ist offenkundig geworden, daß politische Parteien wirkungslos geworden sind, seien es Republikaner oder Demokraten, Konservative oder Liberale, und daß praktische Alternativen gefunden werden müssen.
Wir können uns der Aufgabe, Alternativen zu entwickeln, dadurch stellen, daß wir uns in lockeren Gruppen innerhalb unserer buddhistischen Gemeinschaften (Sangha) treffen, um Politik und Wirtschaft aus buddhistischer Perspektive zu analysieren. Es ist offensichtlich, daß die traditionelle Lehre von der gegenseitigen Abhängigkeit den Sinn dessen, daß man Wohlstand anhäuft und nach hierarchischen Obrigkeitsformen regiert wird, sehr direkt infrage stellt. Was aber dann?
Es muß etwas geschehen. Unsere Praxis der ,Unermeßlickeiten' (brahma-vihara) - Freundlichkeit, Mitgefühl, Mitfreude, Gleichmut - wäre sinnlos, wenn sie Menschen, Tiere und Pflanzen außerhalb unserer förmlichen Sangha [buddhistische Gemeinde] ausklammerte. Nichts in unseren Schriften rechtfertigt einen Kult, der die Welt ignoriert. Wir wollen uns doch nicht auf eine Insel retten. Im Gegenteil. Es ist ganz klar, daß wir mitten in der Welt sind, gemeinsam mit allen Wesen.
Mit Sicherheit ist die Zeit gekommen, da wir uns als Buddhisten artikulieren müssen, mit der festen Grundüberzeugung von Harmonie als unserem Tao (Ursprung, Weg und Ziel). Ebenso schlage ich vor, daß es jetzt an uns ist, die Dinge in die eigenen Hände zu nehmen. Wir selbst können uns engagieren und eben die Grundsätze und Programme für sozialen und ökologischen Schutz und Respekt aufstellen, die wir bisher vergeblich von der Obrigkeit gefordert haben. Das wäre dann engagierter Buddhismus, wenn die Sanghas nicht bloß parallel zu den üblichen gesellschaftlichen Strukturen existierten und ihre Universalität nicht einfach rein metaphysisch bliebe.
Diese größere Sangha ist allerdings nicht mehr nur buddhistisch. Überall können wir gegenwärtig eine religiöse Evolution erkennen, der auch wir unsere Energie schenken sollten. Ihre Anfänge zeichnen sich bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts ab, als Tolstoi, Ruskin, Thoreau, das Neue Testament, die Bhagavadgita und andere indische Texte das Denken und Leben eines M.K. Gandhi befruchteten. Führende Gestalten des Theravadabuddhismus wie A.T. Ariyaratne und Sulak Sivaraksa und ihre Anhänger in Sri Lanka und Thailand haben Gandhis Konzept der "Unabhängigkeit für die Massen" ihren eigenen nationalen Erfordernissen angepaßt und Selbsthilfeprogramme und Projekte zur Gewinnung der Selbständigkeit von Gemeinwesen ins Leben gerufen. Solche Programme sind sich selbst erneuernde Zellen eines erfüllten Lebens inmitten einer materialistischen Gesellschaft.2
Der Mahayanabuddhismus hinkt hinter diesen Entwicklungen in Süd- und Südostasien her. Zwar hat es in der Vergangenheit einige Mönche im Fernen Osten wie Gyogi Bosatsu gegeben, die sich guter Arbeit widmeten, andere wie Hakuin Zenji haben ihre Stimme gegen die Fürsten ihrer Provinz erhoben wegen der Armut der kleinen Leute, und wieder andere haben in Korea und China Bauernaufstände organisiert. Heutzutage sehen wir aber in traditionellen Mahayana-Ländern keine solchen breitangelegten Bewegungen, die den dörflichen Selbsthilfeprogrammen eines Ariyaratne in Sri Lanka oder ähnlichen von Sivaraksa gegründeten Solidaritätsbewegungen in Siam vergleichbar wären. (Ich spreche lieber von "Siam" als von "Thailand", weil ich die Meinung progressiver Buddhisten im Lande respektiere. Sie weisen darauf hin, daß die Thai nur eine der vielen ethnischen Gruppen sind und daß der neue Name von einem Thai-Autokraten oktroyiert worden ist.)
"Selbsthilfe" ist eine angemessene Übersetzung des Wortes swaraj, das Gandhi benutzt hat, um sein Programm der Unabhängigkeit von Mensch und Dorf zu bezeichnen. Er war ein großer Sozialphilosoph, der grundlegende menschliche Handlungsnotwendigkeiten und natürliche Potentiale der Gesellschaft herausfand. Er entdeckte, daß die wirklich wichtigen Veränderungen aus den Menschen selbst kommen und nicht so sehr von den Regierungen mit ihren kosmetischen Korrekturen am System.
Südafrika und Osteuropa sind zwei moderne Beispiele für Veränderung von unten. Die Wahrnehmungen ändern sich, die alten Vorstellungen lassen sich nicht mehr halten - und schon fallen der Staat und seine Ideologie zusammen. Ähnliche Veränderungen brodeln - trotz Repressionen - unter der Oberfläche in Zentralamerika. In den USA scheint die Wirtschaft nur noch durch die Macht der Gewohnheit und Trägheit im Angesicht unvorstellbarer Schulden aufrechterhalten zu werden, während zugleich Stadtverwaltungen zusammenbrechen und Tausende von Familien in Behelfsunterkünften hausen.
Aber es gibt auch Protest. In den Vereinigten Staaten erinnern die unermüdlichen Stimmen von Ralph Nader, Noam Chomsky, Jerry Brown und anderer Querdenker uns und unsere Gesetzgeber und Richter daran, daß unsere sogenannte Zivilisation die Welt aufbraucht. Solche Sprecher im Namen von Bewahrung, von sozialer Gerechtigkeit und Frieden helfen, den Widerstand gegen diese Mächte mit ihrer absurden Politik zu organisieren. So wenden sie haarsträubende Programme ab zugunsten etwas weniger empörender Alternativen.
Wie Ariyaratne und Sivaraksa dies in ihrem jeweiligem gesellschaftlichen Kontext getan haben, so müßten auch wir westliche Buddhisten, unserem Kontext entsprechend die Rolle gesellschaftlicher Aktivisten verwandeln und uns dabei zugleich auf unsere eigene Kultur und unser spirituelles Erbe beziehen. Aber sicherlich würden hierbei die Grundlagen des Dhamma erhalten. ,Richtiges Tun' ist ein Teil des ,Achtfachen Pfades', der mit ,richtiger' Meditation beginnt und endet. Die formelle Dharma-Praxis beinhaltet auch Studium, gemeinsames Rezitieren der alten Texte, Dharma-Diskussionen, religiöse Feiern und gegenseitiges einander unterstützen.
In unserem täglichen Leben könnte die Praxis aber etwas weniger förmlich sein und stattdessen auch Landwirtschaft oder Schutz des Baum-bestandes einschliessen. In den Vereinigten Staaten sind einige unserer größten Intellektuellen mit Landwirtschaft beschäftigt. Der herausragende Dichter W.S. Merwin legte bei sich zu Hause in Maui einen Baumgarten von einheimischen hawaiischen Gewächsen an. Er bewahrte damit einen wichtigen Teil hawaiischer Kultur, in sanftem Widerstand gegen die Monokulturen von Ananas, Zucker und Macadamianußbäumen in seiner Umgebung. Ein weiterer progressiver Intellektueller, Wendell Berry, Autor von etwa dreißig Bänden Dichtung, Essays und Romanen, ist ebenfalls Kleinbauer. Der reformorientierte Intellektuelle und prominente Essayist Wes Jackson ist Leiter eines erfolgreichen Instituts für Kleinbauern. Ein wichtiger Bestandteil des Lehrbetriebs von Jackson besteht im Aufbau von Netzwerken. Er folgt darin der Weisheit der Amish-Leute, daß mindestens sieben Familien zusammenarbeiten und dicht beieinander wohnen müssen, damit ihre jeweiligen kleinen Höfe erfolgreich wirtschaften können.3
Solche Unternehmungen erfordern harte Arbeit und persöliche Praxis. Dies beides gehört zusammen. Persöhnlichkeit, so sagt Schumacher, "entsteht im wesentlichen durch menschliche Arbeit. Und eine Arbeit, die unter ordentlichen Bedingungen von menschlicher Würde und Freiheit getan wird, segnet uns selbst und unsere Produkte".4 In Würde und Freiheit können wir Zusammenarbeit pflegen und gemeinsam arbeiten, auf kleinen Landwirtschaften ebenso wie in Kooperativen aller Art - in Spar- und Kreditgenossenschaften, sozialen Diensten, Krankenhäusern, Kunstgalerien, Theatern, Märkten und Schulen. Dabei werden Netzwerke von annehmbaren und würdigen Lebensformen entstehen, die sich neben, aber auch im Rahmen konventioneller Machtstrukturen etablieren können. Ich stelle mir vor, daß unsere menschengerechten Netzwerke immer attraktiver werden, je mehr die Machtstruktur aus den Fugen gerät.
Diese Zusammenarbeit in Netzwerken gegenseitiger Hilfe würde sich aus unserer Erfahrung von paticca-samuppada nähren, dem ,bedingten Entstehen' oder Entstehen in gegenseitiger Abhängigkeit. Alle Wesen entstehen in Systemen biologischer Verwandtschaft, gleichgültig ob sie im engeren Sinne lebendig sind oder nicht. Wir leben in einer Welt, in der alle Dinge uns hegen und fördern. Im Prozeß unseres fortschreitenden Verständnisses des Dhamma begreifen wir unsere Verantwortung im Zusammenhang von paticca-samuppada und lösen unsere kindlichen Erwartungen, gefördert zu werden, ab durch die erwachsene Verantwortlichkeit, andere zu fördern.
Buddhadasa Bhikkhu sagt: "Der ganze Kosmos ist wie eine Genossenschaft. Sonne, Mond und Sterne leben in einer Kooperative zusammen. Dasselbe gilt für Menschen und Tiere, Bäume und den Erdboden. Unsere Körperteile funktionieren als Kooperative. Wenn wir uns deutlich machen, daß die Welt ein genossenschaftliches Unternehmen auf Gegenseitigkeit ist, daß alle Menschen untereinander Freunde im Prozeß der Geburt, des Alterns, Leidens und des Todes sind - dann könnten wir eine edle, ja wahrhaft himmlische Umwelt aufbauen. Wenn sich unser Leben nicht auf diese Wahrheit gründet, dann werden wir alle untergehen."5
Ein Weg der Individuation, der die kindliche Selbst-Zentriertheit zu gereiften Ansichten und reifem Verhalten hinüberführt, der führt zu dieser ursprünglichen Linie zurück. Auf dem ,Edlen Achtfachen Pfad' des Dhamma wird in sorgfältiger und stetiger Disziplin ,Gier' zu ,Geben' (dana), und aus Ausbeutung wird Zusammenarbeit im Netzwerk. Aus dem rudimentären Gehirn eines Neugeborenen wird die mitfühlende, religiöse Gesinnung eines Älteren. Von außen betrachtet unterscheidet sich dieser Ältere nicht von den anderen, ihre oder seine Bedürfnisse nach Nahrung, Kleidung, Unterkunft, Arznei, Schlaf und Zuneigung sind dieselben wie bei jedem anderen. Aber das Lächeln wird erstaunlich offen sein.
Das ist ein Lächeln, das aus Buddhas Erfahrung kommt. Paticca-samuppada ist nicht einfach nur eine Theorie, sondern die grundlegende Erkenntnis, daß ich gemeinsam mit allen anderen Wesen im Werden bin, und alle Wesen gemeinsam mit mir. Ich leide mit allen Wesen, und alle Wesen leiden mit mir. Der Weg hin zu dieser Erfüllung ist weit und oft beschwerlich. Er erfordert Einschränkungen und die Abkoppelung von unseren gewöhnlichen Anliegen. Es ist ein Weg, der uns über viele Etappen führt, aber es ist wichtig, daß wir uns trotzdem auf keiner Etappe zu lange aufhalten. Das ist alles noch nicht unser wahres Zuhause.
Die Dhamma-Gesellschaft fängt mit solchen Leuten an und wird sich mit jenen durchsetzen, die diesen Weg des mitleidenden Verstehens gehen, die in jedem Augenblick die edle Wahl treffen und es zulassen, daß die anderen Optionen dann wegfallen. Es ist eine Gesellschaft, die uns durchaus bekannt vorkommt, mit Registrierkassen und Handelswaren, mit Feuerwehr und Polizei, mit Theatern und Festen, aber innerlich fühlt sie sich völlig anders an. Wie in einem chinesischen Restaurant im [indischen] Madras: die Dekoration kommt uns bekannt vor, aber der Curry ist verblüffend anders.
In den USA wird die Vorstellung vom Mitleiden als dem Prüfstein für unser Verhalten und unseren Lebensunterhalt durch die Kultur desavouiert. Trotzdem kann man doch hie und da katholische Sozialarbeiter bei der Verpflegung Armer beobachten oder Ordensleute, die Unterkünfte für Obdachlose bauen, oder traditionsgebundene Menschen, die zu ihren alten Methoden der Landwirtschaft zurückkehren.
Klein ist die Devise. Groß ist häßlich, wie James Hiliman deutlich gemacht hat.6 Großangelegte Wohlfahrt geht schief, große Unterkunftsprojekte werden zu Slums, die schlimmer als das sind, was sie ersetzen sollten, große Umweltorganisationen kompromittieren ihre eigenen Prinzipien, um zu überleben, und große Selbstbestimmungsbewegungen fallen aufgrund interner Kämpfe auseinander. Der Punkt ist, daß alles, was groß ist, in sich zusammenfällt, einschließlich der Regierungen, Banken, transnationalen Konzerne und der Weltwirtschaft als solcher, weil alle Dinge zusammenfallen. Kleines kann fließen, ist für Veränderung offen.
Das Problem besteht darin, daß das Große möglicherweise so lange nicht kollabiert, bis es nicht alles andere mit sich reissen kann. Und die Zeit ist wohl nicht auf der Seite des Kleinen. Wir sind uns dieser beispiellosen Gefahr bewußt. Dies nötigt uns, Bilanz zu ziehen und alles zu tun, was wir auf Grund unserer Vision von einer Dhamma-Gesellschaft tun können.
Die traditionelle Sangha dient dieser Vision als Modell. Eine gleichgesinnte Gruppe von fünf Menschen kann eine Sangha sein. Sie kann zu einer gewissen Größe heranwachsen, sich wiederum in selbständige Gruppen aufteilen und sich zu einem Netzwerk zusammenschließen. Als selbständige buddhistische Laienvereinigungen werden diese kleinen Gemeinschaften keine Sanghas im klassischen Sinne sein, aber sie werden das Erbe dieses Namens und vieler der ursprünglichen Intentionen antreten. Sie werden ebenfalls die Basisgemeindebewegung in Lateinamerika und den Philippinen beerben - katholische Netzwerke, die sowohl von der überkommen Religion als auch vom Anarchismus des 19. Jahrhunderts inspiriert sind.7 Katholische Basisgemeinden dienen in erster Linie als gottesdienstliche Gemeinschaften, Studiengruppen, solidarische Unterstützergruppen und Kernzellen für soziale Aktion. Sie können auch den Mitarbeiterstab und den Unterbau kleiner Unternehmen bilden.
Die katholischen Basisgemeinden wurzeln in Studium und Diskussion biblischer Texte. Auf ihren Treffen wird einem selbst bewußt, daß Gott ein Verbündeter derer ist, die die Armen und Unterdrückten befreien werden. Das ist Befreiungstheologie von Herz und Gemüt. Es bedeutet einen inneren Wandel, der die Kraft freisetzt, eng mit anderen zusammen am Werke Gottes mitzuarbeiten.8
Die buddhistische Entsprechung zum Bibelstudium wäre die Kontemplation und Bewusstmachung von paticca-samuppada, das heißt der Einheit gedanklicher Gegensätze wie "das Eine" und "das Viele", wie wir es in der Praxis des Zen kennen, oder der gegenseitigen Abhängigkeit, wie sie in den heiligen Texten etwa des Hua-yen ching9 deutlich wird. Ohne einen buchstäblichen Gott als Bundesgenossen wird man auf seine eigenen Quellen zurückgeworfen, um den richtigen Weg zu finden, und dort findet man das sich ewig verändernde Universum mit seinen wiederkehrenden Metaphern des ,gegenseitigen Durchdrungenseins' als dem immerwährenden Verbündeten.
Noch anderes kann von der Befreiungstheologie gelernt werden. Wir erfahren, daß wir nicht unsere Berufe aufgeben müssen, um selbständige Laien-Sanghas zu bilden. Die meisten Basisgemeinden in Lateinamerika und den Philippinen sind einfach Gruppen, die sich wöchentlich treffen. In buddhistischen Ländern können Zusammenarbeitende einer Institution zur gegenseitigen Unterstützung und zur religiösen Praxis zusammenkommen. In den größten amerikanischen Firmen wie etwa IBM gibt es sicherlich eine Zahl von Buddhisten, die ähnliche Gruppen bilden könnten. Wir könnten auch Mit-Wohn-Möglichkeiten organisieren, die gemeinsames Instandhalten, gemeinschaftliche Kinderbetreuung und Transport erlauben, so daß einzelne reihum freigestellt werden, um an Meditation, Studiengruppen und gesellschaftlicher Betätigung teilnehmen zu können. Die örtlichen Gruppen der Buddhist Peace Fellowship könnten darüber nachdenken, wie die Methode und das Ideal der Basisgemeinden ihnen dazu verhelfen könnten, daß ihre Programme und Ziele noch klarer und besser werden.
Dann brauchten Leute, die in Firmen oder Behörden arbeiten, nicht mehr zu kündigen, wenn sie in buddhistischen Basisgemeinden leben wollen. Sie könnten in ihren Firmen oder behördlichen Arbeitsplätzen bleiben und dann bei anderen Firmen und Behörden die Entwicklung und Vernetzung von Gemeinschaften (nicht nur buddhistischen) vorantreiben. Natürlich liegt die Zukunft im Dunkeln, aber ich schätze die Mythologie der International Workers of the World ("eine neue Gesellschaft in der Hülle der alten heranwachsen lassen"), nach der neue Netzwerke gedeihen können, wenn die alten Formen zusammenbrechen.
Dieser Zusammenbruch wird - wenn überhaupt - natürlich nicht morgen geschehen. Wir dürfen das Stehvermögen des Kapitalismus nicht unterschätzen. Auch kann der komplexe, dynamische Prozeß der Vernetzung nicht plötzlich in Szene gesetzt werden. Als William und Kathleen Whyte 1988 Mondragon untersuchten, den Prototyp eines großen, dynamischen genossenschaftlichen Unternehmens in den drei baskischen Ländern von Nordspanien, haben sie mehr als 100 Arbeiterkooperativen und Fördervereine mit 19.500 Arbeitern gezählt. Das sind kleine, manchmal sehr kleine Unternehmen, die durch wenig mehr als einfach guten Willen und ein tiefes Verständnis für das Gemeinwohl miteinander verbunden sind. Heutzutage stellen sie einen großen Verbund von Geldinstituten, Industrie und Bildungseinrichtungen dar, der sich langsam und beständig aus einer einzigen Unterrichtsklasse einer Technikerschule herausgebildet hat, die 1943 gegründet worden war.10
Wir müssen mit unseren eigenen Trainingsgruppen anfangen. Es lohnt sich, Mondragon zu studieren, ebenso die Industrien in Arbeiterbesitz, die dichter bei uns liegen wie etwa die Sperrholzfirmen im pazifischen Nordwesten. 1972 hat Carl Bellas 21 solcher Firmen untersucht, deren interne Struktur auf hochmotivierten Beratungsausschüssen beruhte, die sich den vielen Gesichtspunkten der Produktion widmeten, und deren Sprecher einer Vollversammlung gegenüber rechenschaftspflichtig waren. 11
Im Verlauf unserer Übungsgruppen ist es auch wichtig, daß wir die Mechanismen der herrschenden Wirtschaftsstruktur untersuchen. Unsere Zivilisation ist vom Wucher und seinen Triebkräften erbaut worden. Das Wort "Wucher" hat eine alte und eine neue Bedeutung. Im Geiste des alten Wortsinnes - Geld gegen Zinsen verleihen - haben kleine und große Banken der Welt dafür gesorgt, daß viele Menschen auf der ganzen Welt über viele Generationen hinweg ein eigenes Haus haben, einen eigenen Hof bewirtschaften und Geschäfte betreiben konnten. Jm Geiste der modernen Wortbedeutung aber -Geldverleih gegen extrem hohe Zinsen - sind einige dieser Banken zu gigantischer Größe angewachsen und haben letztlich dazu beigetragen, Kleinbauern von ihrem Land oder kleine Geschäftsleute aus ihren Läden zu vertreiben und Hauseigentümer mit lebenslänglichen Hypotheken zu belasten.
Die katholische Kirche vertrat über 1800 Jahre lang eine klare und konsequente Lehrmeinung über die Sünde des Wuchers im alten Wortsinne von verzinslichem Geldverleih. Es hat über die Jahrhunderte hinweg fast 30 offizielle kirchliche Erklärungen gegeben, die den Zins verdammten.
Von anderen Fraktionen des Vatikan her wurde jedoch stillschweigend Toleranz gegenüber dem Wucher geübt, solange Juden ihn praktizierten. Die Kirche war ja in Blüte, als (außer jüdischen Kreditinstituten) unter anderem auch die Bankier-Familie Medici die Renaissance mitstützte. Zur gleichen Zeit wurden Pogrome allemal gutgeheißen. Damit hatte sich die moralische Integrität der Kirche kompromittiert. Endlich wurde im frühen 19. Jahrhundert diese Art von Heuchelei aufgegeben - im Grunde bereits zu spät, da der Same des Holocaust bereits gesät war. Heutzutage entschuldigt sich der Papst bei den Juden, und der Vatikan hat nun seine eigene Bank. Wucher im alten und im neuen Sinn ist in der gegenwärtigen Weltkultur die übliche Handlungsmaxime.
Jedoch können moderne Bankiers wie schon die Medici Philanthropen sein. In fast allen Städten der USA werden Museen, Symphonieorchester, Krankenhäuser und Schulen von Bankiers und ihren Geldinstituten gefördert. Banken haben fast die gleiche gesellschaftliche Funktion wie traditionelle asiatische Tempel: sie kümmern sich um die Armen und fördern die Kultur. Das ist echte Wohlfahrt, und es ist zugleich sehr gute Öffentlichkeitsarbeit.
In den Stadtteilen einiger amerikanischer Städte, zum Beispiel den Westwood-Vororten von Los Angeles, sehen die Banken sogar aus wie Tempel. Sie sind in der Tat die Tempel unseres sozio-ökonomischen Systems. Der Bankier verhält sich freundlich, aber sein Interesse (interest)an uns beschränkt sich letzten Endes auf die Zinsen (interest), die er aus uns herausholen kann.
Eine der Banken in Hawaii hat den Slogan: "Wir sagen ,Ja' zu Dir," was wohl soviel bedeutet wie: "Wir sind auf Dein Geld aus." Ihr Slogan wird endlos im Radio und Fernsehen gesungen, und wenn er in Zeitungen und Zeitschriften erscheint, ist er bereits ein Ohrwurm. Ähnliche leichtgewichtige und zugleich hinterlistige Überredungskünste werden gegenüber Dritte-Welt-Regierungen benutzt, wenn es um den Bau von Straßen, von Staudämmen und Verwaltungshochhäusern geht.
Regierungen und Planer in der Dritten Welt sind in der Tat die Narren der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds. "Man muß sich darüber im klaren sein, daß IWF-Programme nicht dazu gedacht sind, die Wohlfahrt der Bevölkerung zu vermehren. Sie sind dazu gedacht, die Zahlungsverpflichtungen auszugleichen... Der IWF ist der oberste Wächter über das Interesse von Kapitalisten und Bankiers, die international Handel betreiben." 12
Dies sind Beobachtungen des Wirtschaftswissenschaftlers Kan Polanyi Levitt, die als Motto einer Studie mit dem Titel Banking on Roverty zitiert werden. Die Herausgeberin des Buches schließt damit, daß die Politik des IWF und der Weltbank "sich schwerwiegend in die souveräne Verantwortlichkeit vieler Regierungen der Dritten Welt einmischen. Diese Politik bedeutet oft nicht nur einen größeren zusätzlichen Einschnitt im Lebensstandard des ärmsten Teils einer Gesellschaft in der Dritten Welt. Sie wird vielmehr auch kaum die wirtschaftlichen Resultate bringen, um derentwillen sie im Namen der Ärmsten veranstaltet wird." 13
An der Bucht von Bombay zeigen die großzügigen Appartmenthäuser, daß die Erste Welt mit ihrem Wohlstand und ihrer Muße gesund und munter ist inmitten der wohlhabenden Klassen der alten Dritten Welt. Die Dritte Welt mit ihrer Armut und ihren Krankheiten flammt in den Städten und Bauernhöfen der alten Ersten Welt auf. In The Prosperous Few and the Restless Many schreibt Noam Chomsky: "1971 demontierte Nixon das Bretton-Woods-System [von 1944] und deregulierte damit die Währungen. Dies und noch andere Veränderungen haben die Menge des unregulierten Kapitals in der Welt unglaublich erhöht und das beschleunigt, was man die Globalisierung der Wirtschaft nennt. Das ist eine hübsche Art zu sagen, daß man nun Arbeit in Gebiete hoher Repression und niedrigen Lohnes exportieren kann." 14
Fabriken aus Los Angeles wurden nach Osteuropa verlegt, nach Mexiko und Indonesien, und zogen dort Arbeiter aus der Landwirtschaft an. In der Zwischenzeit geraten die Opfer in Los Angeles und anderen sozialen Brennpunkten der Vereinigten Staaten, einschließlich trostloser abgelegener Kleinstädte, in großen Zahlen auf die schiefe Bahn und an Drogen, um sich von ihrer scheinbar hoffnungslosen Armut zu erleichtern. Eine Million amerikanischer Bürger befinden sich derzeit im Gefängnis, dazu etwa zwei weitere Millionen mit Bewährungsstrafen. Mehr als die Hälfte davon wurde wegen Drogendelikten verurteilt (Dez.1994). Die Lage wird sich weiter verschlimmern. Die Bürger Deutschlands haben bei der Wahl von 1932 Hitler zum Kanzler gewählt und damit ganz freiwillig dem Faschismus Tür und Tor geöffnet. Ebenso haben die Bürger der USA einen Kongreß gewählt, der anscheinend entschlossen ist, eine beständige Unterschicht zu schaffen; der Gefängnisausbau soll zur Unterbringung eines Großteils dieser Schicht dienen.
Gibt es denn gar keine Hoffnung? Wenn Großbanken, multinationale Konzerne und gleichgesinnte Regierungen bei ihrer Strategie bleiben, die Wenigen im Wohlstand und die Vielen arm zu halten, wohin können sich dann kleine Bauern, Ladenbesitzer und die Leiter von Gesundheitszentren und Sozialdiensten wenden, wenn sie Startkapital für ihre Unternehmen oder Geld zur Überbrückung von Schwierigkeiten brauchen? In den USA werden die staatlichen Förderungen von Kleinbetrieben und Kleinbauern ebenso wie Zuschüsse an Gesundheitszentren und Sozialdienste gekürzt. Hilfe dieser Art ist nur gering, oder es gibt sie überhaupt nicht in anderen Teilen der Welt, mit bemerkenswerten Ausnahmen in Nordeuropa.
Seit Generationen bis auf den heutigen Tag haben ,Kreditgenossenschaften zur Anschlußfinanzierung' (revolving credit associations), die man in China hui, in Korea kye und in Japan tanamoshi nennt, das Startkapital für Bauern und kleine Geschäftsleute sowie Kurzzeitkredite für Hochzeiten, Begräbnisse und Schulgelder bereitgestellt. In Siam gibt es Reis-Banken und Büffel-Banken, damit die armen Dörfler Rohstoffe und Erzeugnisse miteinander teilen können. Die Grameen-Banken in Bangladesh wurden von den Armen für die Armen eingerichtet. Die Anteile sind jeweils sehr kleine Beträge von umgerechnet höchstens ein paar Dollar, aber zusammengenommen reichen sie aus für Kredite zu sehr niedrigen Zinsen an Bauern und Ladenbesitzer." 15
Ähnliche traditionelle Genossenschaften gibt es in den meisten anderen Kulturen. Solche Vereinigungen bestehen aus gleichgesinnten Verwandten, Freunden, Nachbarn, Arbeitskollegen oder ehemaligen Schulkameraden. Die Verabredungen über das Leihen oder Zurückzahlen unterscheiden sich jeweils, sogar innerhalb einer Kultur.16 In den USA haben sich die Genossenschaften außerhalb des Systems gegründet, mit Hilfe von Interimsaktien und Arbeitsgutscheinen, am bekanntesten Ithaca Hours mit 1.200 Unternehmen.17 Die Währungseinheit im letzteren Fall ist der Entsprechungsbetrag zu zehn US-Dollar, weil das als der Stundenlohn betrachtet wird. Die Währung wird durch die Zusicherung von Arbeit durch die Mitglieder des Systems garantiert.
Wir können uns solche Modelle zunutze machen, so daß wir selbst Projekte entwickeln können, die unseren spezifischen Erfordernissen und Umständen gerecht werden. Wir können äuf eigenen Füßen stehen und uns gegenseitig helfen in solchen Systemen, die den Vielen dienen, anstatt den Wohlstand der Wenigen zu vermehren.
Und noch einmal: Klein ist schön. Obwohl Großes auch schön sein kann, wenn es sich um ein Netz selbständiger Einheiten handelt, sind monolithische Strukturen dennoch problematisch, selbst wenn sie von religiösem Idealismüs genährt werden. Islamische Ökonomen denken über nationale Bankensysteme nach, die eher durch Investitionen als durch Zinsen funktionieren. Sie weisen allerdings darauf hin, daß eine solche Struktur nur in einem Land möglich ist, in dem Geldverleih gegen Zinsen verboten ist, und wo entsprechende Vergehen auch vom Staat geahndet werden. 18
So ist für diejenigen von uns, die nicht gerade in bestimmten islamischen Ländern leben, die den Koran wörtlich nehmen wollen, wie etwa Pakistan und einige der Golf-Staaten, das makrokosmische Konzept eines zinsfreien Bankensystems wahrscheinlich nicht praktikabel.
Natürlich haben Kreditgenossenschaften zur Anschlußfinanzierung' Probleme, wie dies mit allen menschlichen Vereinen der Fall ist. Es kommen Zahlungssäumnisse vor, aber der Druck von Freunden und Verwandten hält diese auf einem Minimum. In einem buddhistischen Darlehensverein würde die Disziplin der Dhamma-Praxis solche Probleme noch weiter verringern. Dessen Sitzungen könnten so strukturiert sein, daß ein Ritus und Dhamma-Lehrge spräche die Mitglieder daran erinnern, daß sie die Tugenden des Buddha-Dhamma praktizieren und paticca-samuppada in ihrem täglichen Leben zur Anwendung bringen. Sie praktizieren Vertrauen, denn alle Wesen sind Buddhas, wie es uns Hakuin Zenji und zahllose andere Lehrer aufzeigen.19 Sicherlich würde sich nur aus einem ernsthaften Notfall heraus ein Anlaß für Verstöße ergeben, und ein Fonds für Unvorhergesehenes könnte für solche Situationen genügen.
In kleinen von Buddhisten getragenen Landwirtschaften oder Geschäftsbetrieben könnte die Praxis des Dhamma aber noch eine weitere Rolle spielen. Unter dem Einfluß von Buddhisten ist in den 1970er Jahren die Bewegung "Ehrliches Geschäft' in San Francisco entstanden. Das war ein Netz kleiner Läden, deren Besitzer und Angestellte sich von Zeit zu Zeit trafen, um sich gegenseitig Mut zu machen. Ihr Ziel war es, dem Gemeinwohl zu dienen und nur soviel Verdienst aus ihrem Verkauf zu erzielen, daß sie sich selbst ernähren, ihre Geschäfte weiterführen und ihre Miete zahlen konnten. Ihre Rechnungsbücher lagen zur Einsicht für die Kunden offen auf der Ladentheke.20
Die Bewegung selbst hat nicht überlebt, obwohl progressive Geschäfte hier und da immer noch die Übung beibehalten, ihre Bücher den Kunden offenzulegen.21 Offensichtlich war das Netzwerk "Ehrliches Geschäft" nicht gut genug organisiert, um den kulturellen Wandel von der neuen Zeit der 1970er Jahre zur alles durchdringenden Gier der 1980er Jahre zu überstehen. Ich vermute, daß die Anzahl der teilnehmenden Geschäfte noch keine kritische Menge erreicht hatte, und viele von ihnen mögen kommerziell nicht sonderlich attraktiv gewesen sein. Vielleicht war auch ihr religiöses Engagement nicht besonders tief gegründet. Vielleicht gab es auch nicht das Gefühl der Dringlichkeit einer Alternative, wie es in der Dritten Welt ausgeprägter sein mag - eine Dringlichkeit, die mit Sicherheit spürbar werden wird, je mehr das herrschende System die natürlichen Ressourcen immer stärker aufbraucht. (Diese Dringlichkeit ist im Schrifttum der Firma Real Goods spürbar. Wir wollen hoffen, daß diese bemerkenswerte [kalifornische] Firma zum Vorreiter für andere wird - siehe Anm. 21.) In jedem Falle kann man wahrscheinlich etwas von der Bewegung "Ehrliches Geschäft" lernen, und ihre Fehler vermeiden.
Wenn man ein Kleinunternehmen gründet - auch Gesundheitszentren oder Sozialdienste und deren Netzwerke, ist es wichtig, sich nicht mit einer erreichten Stufe zufrieden zu geben. Ein normaler Unternehmer, dem es um den notwendigen Unterhalt seiner Familie geht und um einen Plan für die Ausbildungskosten und den Ruhestand, wird jede Alternative abklopfen und jede Marktnische nach eventuellen Verdienstchancen auskundschaften. Wenn auch seine Motivation das Dienen und sein Einsatz für die Familie ist, muß der Geschäftsführer in einem "Ehrlichen Geschäft" dennoch genauso sorgfältig und gewitzt sein.
Wer damit beschäftigt ist, das Lobbying für eine Reform der Politik und der Wirtschaft zu organisieren, muß ebenfalls die Konsequenzen sorgfältig bedenken. Die Basisgemeinden im ganzen Inselreich der Philippinen haben den Despoten Marcos gestürzt, aber die neue Gesellschaft war doch noch nicht flügge und ist sofort wieder geduckt worden. Die erreichte Stufe war nicht der Gipfel, und die Euphorie wich dem Gefühl, betrogen worden zu sein. Aber man kann sicher sein, daß viele jener kleinen Gemeinschaften immer noch intakt sind und die Stellung halten. Ihre Mitglieder haben aus der jüngsten Geschichte gelernt und setzen den Kampf um Gerechtigkeit fort.
Der große Organisator der Quäker in der Mitte des 20. Jahrhunderts, A.J. Muste, soll einmal gesagt haben: "Es gibt keinen Weg zum Frieden. Frieden ist der Weg." Für unsere Zwecke würde ich das so umformulieren: "Es gibt keinen Weg zu einer gerechten Gesellschaft; unsere gerechte Gesellschaft ist der Weg." Auch gibt es keine Stufe, auf der wir uns ausruhen könnten. Es gibt nur die innere Ruhe, die wir in der Arbeit und buddhistischen Praxis spüren.
Diese innere Ruhe ist so wichtig. In der kurzen Geschichte der Vereinigten Staaten gibt es viele Berichte über utopische Gesellschaften. Fast alle sind vorbei - einige haben nur ein paar Wochen überlebt. Wenn ich es genauer betrachte, bekomme ich den Eindruck, daß viele sich deswegen wieder auflösten, weil sie sich nie solide als religiöse Gemeinschaft entwickelt hatten. Sie waren mit ihrer Organisation zufrieden, bevor sie wirklich organisiert waren.
Heutzutage fallen Familien fast so schnell auseinander wie organisierte Gemeinschaften, aber die Praxis des Dhamma kann in einem Familienhaushalt ebenso wie in der Sangha eine Rolle spielen. Sulak Sivaraksa sagt: "Wenn auch nur einer in einer Familie meditiert, profitiert die ganze Familie davon."22 Das Konkurrenzverhalten wird in die Entwicklung von Begabungen und Fertigkeiten kanalisiert und die Gier in die Befriedigung aus einer erfüllenden Arbeit. Alles Neue und neue Technologien werden in angemessener Weise gebraucht, aber all das darf weder Zeit noch Energie von dem Weg abzweigen, der zur Individuation und zum Mitgefühl führt.
Neue Dinge und neue Technologie sind sehr verführerisch. Ich habe als kleiner Junge eine Zeitlang bei meinen Großeltern gelebt. Es waren die Zeiten vor dem Kühlschrank, und wir waren zu weit von der Stadt entfernt, um uns Eis zu besorgen. So hatten wir außen vor der Küche unter einer Eiche einen Kühler - eine Art Schrank fast ganz aus Fliegenfenster. Er war mit Sackleinen zugedeckt und wurde durch eine schlaue Tropf-Vorrichtung von oben her gewässert. Die Verdunstung der Hülle aus Sackleinen hielt den Inhalt des Schranks kühl, die Milch frisch und die Butter in guter Verfassung. Wir brauchten keinen Kühlschrank. Den Grund, warum meine Großeltern in späteren Jahren doch einen kauften, vermute ich einfach darin, daß sie von der Werbung und von Freunden überredet wurden.
Auch wir können unsere Kühlkammer direkt vor der Küchentür haben oder auf dem Balkon des Mietshauses und damit das Geld, das der Kühlschrank gekostet hätte, für die Ausbildung unserer Kinder sparen. Wie unsere Vorfahren auch können wir zu Fuß gehen oder öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Wir können uns wie die Amish-Leute zusammentun und füreinander die Häuser bauen (vgl. Anm. 3). Wir können uns mit unseren Freunden zusammenschließen und können Söhnen und Töchtern in der Phase, in der sie mit den gesellschaftlichen Konventionen experimentieren und ihre Grenzen ausprobieren, die Übergangsriten anbieten.
Unsere Vorfahren haben für ihre Nachkommen geplant, sonst gäbe es uns wohl nicht. Unsere kleinen buddhistischen Laiengruppen können eine Struktur für die Praxis des Dhamma darstellen. Sie können auch ebenso die modellhafte und flexible Struktur für unsere Nachkommen sein, nun ihrerseits das Dhamma zu praktizieren - für die nächsten zehntausend Jahre.
Indem wir das Dhamma bewahren (sustaining), können wir auch dauerhafte (sustainable) Landwirtschaft, dauerhafte (nachhaltige) Waldwirtschaft und andere dauerhafte Unternehmungen aller Art betreiben. Unsere Vorfahren erhalten uns, und wir erhalten unsere Nachkommen. Unsere Familienmitglieder und Kollegen nähren und erhalten uns, und wir erhalten sie - so wie in alten Zeiten dana in Umlauf gegeben wurde.
Bei diesem Umlauf des Geschenks bietet traditionellerweise der buddhistische Mönch das Dhamma an, so wie wir ihm Nahrung, Kleidung, Unterkunft und Medizin anbieten. Aber er ist auch ein Junggeselle. Die meisten von uns können keine wandernden Bettelmönche werden. Aber als jemand, der sein Zuhause verlassen hat, fordert der Mönch uns dazu heraus, ebenfalls von zu Hause wegzugehen - ohne das Haus zu verlassen. Hier gibt es zwei Bedeutungen von "zu Hause". Es kann das Zuhause der Familie sein; das andere mag zwar auch mit der Familie zu tun haben, meint aber auch den inneren Ort von Frieden und Ruhe, wo die Hingabe an den Buddha-Weg der Selbstlosigkeit und Zuwendung über allem steht. Die Mönche und ihr System von Dana sind tatsächlich ein ausgezeichnetes Modell für uns. Das Geschenk wird in Umlauf gegeben, und verbreitet mit jeder Runde Persönlichkeit und Würde. Ein Fest zum Feiern der Runden macht den Kindern Spaß und schafft Befriedigung für die Älteren.
Ich meine damit nicht, daß die Praxis des Weiterreichens des Geschenkes ein wonniger und lichter Vorgang wäre. Die Praxis würde nämlich auch bedeuten, daß man es mit niederträchtigen Imperativen in einem selbst und in anderen zu tun bekommt. Der Buddha und seine frühen Anführer haben die Regeln in der ,Ordensregel' (vinaya) jeweils nach solchen Vorfällen erweitert, die man als unangemessen betrachtete. Ob nun die buddhistische Basisgemeinde einfach eine Gruppe von gleichgesinnten Nachfolgern des Dhamma ist, die sich zur gegenseitigen Hilfe und zum Studieren trifft, oder ob sie sich organisiert hat, um öffentlich für Gerechtigkeit einzutreten, oder ob sie ein Unternehmen betreibt, eine kleine Landwirtschaft oder ein Gesundheitszentrum, in all diesen Fällen müssen jedenfalls die Richtlinien klar sein. Man müßte sich jederzeit verbindlich auf allgemeine Vereinbarungen beziehen können in der Frage, was großzügiges Verhalten ist. Wenn jemand von diesen Maßstäben abgeht, könnten dann allmählich, wenn man es für richtig hält, Formen des Tadels in einem Geist des Mitgefühls eingeführt werden. Man sollte auch Richtlinien festlegen für die gemeinsamen Sitzungen, für die Durchführung der Arbeit und für den Aufbau von Netzwerken. Es muß Unterricht geben, einen Ritus und das Miteinander-Teilen. All dies funktioniert nach der Methode "Versuch und Irrtum", wobei das Vorhandene eine Anleitung, nicht ein Diktat abgeben soll.
Guter Wille und Ausdauer setzen sich durch. Der Kreislauf des Geschenk-Austauschs kann zehntausend Jahre dauern oder einen Augenblick. Jede Treffen des kleinen Sangha kann eine Erneuerung der Praxis sein; jeder Arbeitstag kann eine Auffrischung der Praxis sein, jede Begegnung, jeder Gedankenblitz. Bei jedem Schritt auf dem Weg denken wir daran, daß Menschen und die vielen Wesen auf der Welt wichtiger sind als Güter.
Übersetzung aus dem Englischen: Ulrich Dehn, Überarbeitet von Franz-Johannes Litsch
Fußnoten:
1. E.F. Schumacher, Small is Beautiful. Economics as if People Mattered, New York: Harper & Row, 1975, S.55.
2. A.T. Ariyaratne, Collected Works, Bd.1, Dehiwala (Sri Lanka): Sarvodia Research Institute, o. J.; Sulak Sivaraksa, A Buddhist Vision for Renewing Society. Collected Artides by a Concerned Thai Intellectual, Bangkok: Thai Watana Panich, 1981. [Erstmals in deutscher Sprache ist eine Neufassung der Aufsatzsammlung von 1992 erschienen: Sulak Sivaraksa, Saat des Friedens. Vision einer buddhistischen Gesellschaftsordnung, Hg. Tom Ginsburg, Vorwort vom Dalai Lama, Einführung von Thich Nhat Hanh, Braunschweig: Aurum, 1995.]
3. Wes Jackson, Altars of Unhewn Stone. Science and the Earth, San Francisco: NorthPoint Press 1987, S.126.
4. E.F. Schumacher, Small is Beautiful, S.55.
5. Donals K. Swearer, Three Legacies of Bhikkhu Buddhadasa, in: The Questfor a New Society, Hg. Sulak Sivaraksa, Bangkok: Thai Inter-Religious Commission for Development 1994, S.17. [Auf Deutsch: Donals K. Swearer, Drei Vermächtnisse von Buddhadasa Bhikkhu.]
6. James Hillman, And Huge is Ugly. Tenth Annual E.F. Schumacher Memorial Lecture, Bristol (England), November 1988.
7. Charles B. Maurer Call to Revolution. The Mystical Anarchism of Gustav Landauer, Detroit: Wayne State University Press, 1972, S.58-66; The Anarchist Collectives. Worker's Self-Management in the Spanish Revolution 1936-1939, hg. von Sam Dolgof New York: Free Life Editions, 1974.
8. Mev Puleo, The Struggle is One. Voice and Visions of Liberation, Albany: State University of New York, 1994, S.14,22,25,29.
9. Thomas Cleary, Entry into the Inconceivable. An Introduction to Hua-yen Buddhism, Honolulu, University of Hawaii Press, 1983, 5.7.
l0. William Foote Whyte & Kathleen King Whyte, Making Mondragon. The Growth and Dynamics of the Worker Cooperative Complex, Ithaka, N.Y.: ILR Press, Cornell University, 1988, 5.3,30.- Andere Kooperativen, die es sich lohnen würde zu untersuchen, sind die Transnational Information Exchange, die Gewerkschafter aus der ganzen Welt aus derselben Branche zusammenbringt, die Innovation Centers, die in Deutschland entworfen wurden, um Arbeitern zu helfen, die mit neuen Technologien zurechtkommen müssen, und Emilia Romagna in Norditalien, Netzwerke unabhängiger Industrien, die gemeinsam forschen und ihre Produkte vermarkten.
11. Carl J. Bellas, Industrial Democracy and the Worker-Owned Firm. A Study of Twenty-One Plywood Companies in the Pacific Northwest, New York: Praeger Publications, 1972.
12. Jill Torne (Hg.), Banking on Poverty. The Global Impact of the IMF and World Bank, Toronto: Between the Lines, 1983.
13. A.a.O., S.14, Vgl. ebenso Dough Bandow & lan Vasquez (Hg.), Perpetuating Povertt. The World Bank, the IMF, and the Developing World, Washington, D.C.: ato Institute, 1994, sowie Kevin Danaher, 50 Years is Enough. The Case Against the World Bank and the IMF, Boston: South End Press, 1994.
14. Noam Chomsky, The Prosperous Few and the Restless Many, Berkeley (Kalifornien): Odonian Press, 1993, S.6.
15. Abu N.M. Wahid, The Grameen Bank. Poverty Relief in Bangladesh, Boulder: Westview Press, 1993.
16. Vgl. z.B. Ivan Light & Edna Bonacich, Immigrant Entrepreneurs. Koreans in Los Angeles, 1965-1982, Berkeley, Los Angeles, London: Universitv of California Press, 1988, 5.244.
17. Paul Glover, Creating Economic Democracy with Locally-Owned Currency, Terrain, Dezember 1994, S 10f; An Alternative to Cash. Beyond Banks or Barter, New York Times, 31.5.1993, S.8.
18. Nejatullah Siddiqui, Banking Without Interest, Delhi: Markazi Maktaba Islami 1979, S. X-XII.
19. Robert Aitken, Encouraging Words. Zen Buddhist Teachings for Western Students, San Francisco: Pantheon Press, 1993, S.179.
20. Michael Phillips & Sally Rashberry, Honest Business. A Superior Strategy for Starting and Conducting Your Own Business, New York: Random House 1981.
21. Zum Beispiel ,Real Goods', Kleinhändler für Waren, die helfen, die Region zu erhalten. 966 Mazzoni Street, Ukiah, USA/CA 95482-0214, März-Katalog 1995, S.37
22. Sulak Sivaraksa, Saat des Friedens. Vision einer buddhistischen Gesellschaftsordnung, Hg. Tom Ginsburg, Braunschweig: Aurum, 1995, S. 130f.
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Dieser Aufsatz ist die für den Druck überarbeitete Fassung eines Vortrags, den Robert Aitken, der Gründer der Diamond Sangha (USA) 1995 in Thailand gehalten hat anlässlich einer Konferenz des International Network of Engaged Buddhists unter dem Thema "Dhammagemäße Gesellschaft - das INEB entdeckt seine Aufgabe" (Dhammic Society: Towards an INEB Vision). Die deutsche Fassung ist um einige Anmerkungen gekürzt. Die englische Originalfassung "Envisioning the Future" ist veröffentlicht unter: Robert Aitken, Original Dwelling Place. Zen Buddhist Essays, Washington D.C.: Counterpoint, 1996 sowie bei: Jonathan Watts (Ed.), Entering the Realm of Reality, Towards Dhammic Societies, INEB Think Sangha, Bangkok, 1997."Klein ist schön". Mit diesem Ausspruch ging es E.F Schumacher (in seinem berühmten Buch: Small ist beautiful) nicht um die Frage der bloßen Größe. "Eine buddhistische Ökonomie muß sich von den Ökonomien des modernen Materialismus stark unterscheiden", meinte er vielmehr. "Der Buddhist sieht das Wesen der Zivilisation nicht in der Vervielfältigung der Bedürfnisse, sondern in der Bereinigung der menschlichen Persönlichkeit."1
Schumacher ruft damit die Wort-Herkunft von "Zivilisation" in Erinnerung, die den Prozeß meint, wie jemand zivilisiert, also ein wirklicher Mensch wird. Viele vernachlässigen diese alte Weisheit der Worte in ihrer Sucht, sich Dinge anzueignen und zu konsumieren. Aber solche mit einer gewissen Kultur des Herzens sehen sich in all den Sachzwängen gefangen, die ihre Zeit und Energie für die Ernährung ihrer Familie beanspruchen. Während das System der Aneignung blüht, kündigt sich jedoch sein Zusammenbruch durch Epidemien, Hungersnöte, Krieg und die Plünderung der Erde und ihrer Wälder, des Wassers und der Luft an.
Ich sehe vor mir, wie weltweite die Krise immer mehr anwächst, weil Manager und ihre multinationalen Systeme die begrenzten menschlichen und natürlichen Ressourcen immer weiter ausplündern. Große Konzerne, unterstützt durch ebenso große Finanzinstitute, spülen menschliche Behausungen und die Behausungen Tausender anderer Spezies erheblich skrupelloser und in viel größerem Maßstab weg, als dies die Goldgräber taten, die einst ganze Berge in Kalifornien weggewaschen haben. Internationale Konsortien herrschen in souveräner Weise über alle politischen Instanzen. Präsidenten und Parlamente und selbst die Vereinten Nationen nehmen abgeleitete Entscheidungskompetenzen wahr, mit denen sie lediglich bereits getroffene Vereinbarungen absegnen.
Allenthalben verzweifeln wohlmeinende Menschen am politischen Prozeß. Die alte Begeisterung, an Wahltagen wählen zu gehen, hat drastisch abgenommen. In den Vereinigten Staaten gehen in der Regel weniger als 50 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl. Es ist offenkundig geworden, daß politische Parteien wirkungslos geworden sind, seien es Republikaner oder Demokraten, Konservative oder Liberale, und daß praktische Alternativen gefunden werden müssen.
Wir können uns der Aufgabe, Alternativen zu entwickeln, dadurch stellen, daß wir uns in lockeren Gruppen innerhalb unserer buddhistischen Gemeinschaften (Sangha) treffen, um Politik und Wirtschaft aus buddhistischer Perspektive zu analysieren. Es ist offensichtlich, daß die traditionelle Lehre von der gegenseitigen Abhängigkeit den Sinn dessen, daß man Wohlstand anhäuft und nach hierarchischen Obrigkeitsformen regiert wird, sehr direkt infrage stellt. Was aber dann?
Es muß etwas geschehen. Unsere Praxis der ,Unermeßlickeiten' (brahma-vihara) - Freundlichkeit, Mitgefühl, Mitfreude, Gleichmut - wäre sinnlos, wenn sie Menschen, Tiere und Pflanzen außerhalb unserer förmlichen Sangha [buddhistische Gemeinde] ausklammerte. Nichts in unseren Schriften rechtfertigt einen Kult, der die Welt ignoriert. Wir wollen uns doch nicht auf eine Insel retten. Im Gegenteil. Es ist ganz klar, daß wir mitten in der Welt sind, gemeinsam mit allen Wesen.
Mit Sicherheit ist die Zeit gekommen, da wir uns als Buddhisten artikulieren müssen, mit der festen Grundüberzeugung von Harmonie als unserem Tao (Ursprung, Weg und Ziel). Ebenso schlage ich vor, daß es jetzt an uns ist, die Dinge in die eigenen Hände zu nehmen. Wir selbst können uns engagieren und eben die Grundsätze und Programme für sozialen und ökologischen Schutz und Respekt aufstellen, die wir bisher vergeblich von der Obrigkeit gefordert haben. Das wäre dann engagierter Buddhismus, wenn die Sanghas nicht bloß parallel zu den üblichen gesellschaftlichen Strukturen existierten und ihre Universalität nicht einfach rein metaphysisch bliebe.
Diese größere Sangha ist allerdings nicht mehr nur buddhistisch. Überall können wir gegenwärtig eine religiöse Evolution erkennen, der auch wir unsere Energie schenken sollten. Ihre Anfänge zeichnen sich bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts ab, als Tolstoi, Ruskin, Thoreau, das Neue Testament, die Bhagavadgita und andere indische Texte das Denken und Leben eines M.K. Gandhi befruchteten. Führende Gestalten des Theravadabuddhismus wie A.T. Ariyaratne und Sulak Sivaraksa und ihre Anhänger in Sri Lanka und Thailand haben Gandhis Konzept der "Unabhängigkeit für die Massen" ihren eigenen nationalen Erfordernissen angepaßt und Selbsthilfeprogramme und Projekte zur Gewinnung der Selbständigkeit von Gemeinwesen ins Leben gerufen. Solche Programme sind sich selbst erneuernde Zellen eines erfüllten Lebens inmitten einer materialistischen Gesellschaft.2
Der Mahayanabuddhismus hinkt hinter diesen Entwicklungen in Süd- und Südostasien her. Zwar hat es in der Vergangenheit einige Mönche im Fernen Osten wie Gyogi Bosatsu gegeben, die sich guter Arbeit widmeten, andere wie Hakuin Zenji haben ihre Stimme gegen die Fürsten ihrer Provinz erhoben wegen der Armut der kleinen Leute, und wieder andere haben in Korea und China Bauernaufstände organisiert. Heutzutage sehen wir aber in traditionellen Mahayana-Ländern keine solchen breitangelegten Bewegungen, die den dörflichen Selbsthilfeprogrammen eines Ariyaratne in Sri Lanka oder ähnlichen von Sivaraksa gegründeten Solidaritätsbewegungen in Siam vergleichbar wären. (Ich spreche lieber von "Siam" als von "Thailand", weil ich die Meinung progressiver Buddhisten im Lande respektiere. Sie weisen darauf hin, daß die Thai nur eine der vielen ethnischen Gruppen sind und daß der neue Name von einem Thai-Autokraten oktroyiert worden ist.)
"Selbsthilfe" ist eine angemessene Übersetzung des Wortes swaraj, das Gandhi benutzt hat, um sein Programm der Unabhängigkeit von Mensch und Dorf zu bezeichnen. Er war ein großer Sozialphilosoph, der grundlegende menschliche Handlungsnotwendigkeiten und natürliche Potentiale der Gesellschaft herausfand. Er entdeckte, daß die wirklich wichtigen Veränderungen aus den Menschen selbst kommen und nicht so sehr von den Regierungen mit ihren kosmetischen Korrekturen am System.
Südafrika und Osteuropa sind zwei moderne Beispiele für Veränderung von unten. Die Wahrnehmungen ändern sich, die alten Vorstellungen lassen sich nicht mehr halten - und schon fallen der Staat und seine Ideologie zusammen. Ähnliche Veränderungen brodeln - trotz Repressionen - unter der Oberfläche in Zentralamerika. In den USA scheint die Wirtschaft nur noch durch die Macht der Gewohnheit und Trägheit im Angesicht unvorstellbarer Schulden aufrechterhalten zu werden, während zugleich Stadtverwaltungen zusammenbrechen und Tausende von Familien in Behelfsunterkünften hausen.
Aber es gibt auch Protest. In den Vereinigten Staaten erinnern die unermüdlichen Stimmen von Ralph Nader, Noam Chomsky, Jerry Brown und anderer Querdenker uns und unsere Gesetzgeber und Richter daran, daß unsere sogenannte Zivilisation die Welt aufbraucht. Solche Sprecher im Namen von Bewahrung, von sozialer Gerechtigkeit und Frieden helfen, den Widerstand gegen diese Mächte mit ihrer absurden Politik zu organisieren. So wenden sie haarsträubende Programme ab zugunsten etwas weniger empörender Alternativen.
Wie Ariyaratne und Sivaraksa dies in ihrem jeweiligem gesellschaftlichen Kontext getan haben, so müßten auch wir westliche Buddhisten, unserem Kontext entsprechend die Rolle gesellschaftlicher Aktivisten verwandeln und uns dabei zugleich auf unsere eigene Kultur und unser spirituelles Erbe beziehen. Aber sicherlich würden hierbei die Grundlagen des Dhamma erhalten. ,Richtiges Tun' ist ein Teil des ,Achtfachen Pfades', der mit ,richtiger' Meditation beginnt und endet. Die formelle Dharma-Praxis beinhaltet auch Studium, gemeinsames Rezitieren der alten Texte, Dharma-Diskussionen, religiöse Feiern und gegenseitiges einander unterstützen.
In unserem täglichen Leben könnte die Praxis aber etwas weniger förmlich sein und stattdessen auch Landwirtschaft oder Schutz des Baum-bestandes einschliessen. In den Vereinigten Staaten sind einige unserer größten Intellektuellen mit Landwirtschaft beschäftigt. Der herausragende Dichter W.S. Merwin legte bei sich zu Hause in Maui einen Baumgarten von einheimischen hawaiischen Gewächsen an. Er bewahrte damit einen wichtigen Teil hawaiischer Kultur, in sanftem Widerstand gegen die Monokulturen von Ananas, Zucker und Macadamianußbäumen in seiner Umgebung. Ein weiterer progressiver Intellektueller, Wendell Berry, Autor von etwa dreißig Bänden Dichtung, Essays und Romanen, ist ebenfalls Kleinbauer. Der reformorientierte Intellektuelle und prominente Essayist Wes Jackson ist Leiter eines erfolgreichen Instituts für Kleinbauern. Ein wichtiger Bestandteil des Lehrbetriebs von Jackson besteht im Aufbau von Netzwerken. Er folgt darin der Weisheit der Amish-Leute, daß mindestens sieben Familien zusammenarbeiten und dicht beieinander wohnen müssen, damit ihre jeweiligen kleinen Höfe erfolgreich wirtschaften können.3
Solche Unternehmungen erfordern harte Arbeit und persöliche Praxis. Dies beides gehört zusammen. Persöhnlichkeit, so sagt Schumacher, "entsteht im wesentlichen durch menschliche Arbeit. Und eine Arbeit, die unter ordentlichen Bedingungen von menschlicher Würde und Freiheit getan wird, segnet uns selbst und unsere Produkte".4 In Würde und Freiheit können wir Zusammenarbeit pflegen und gemeinsam arbeiten, auf kleinen Landwirtschaften ebenso wie in Kooperativen aller Art - in Spar- und Kreditgenossenschaften, sozialen Diensten, Krankenhäusern, Kunstgalerien, Theatern, Märkten und Schulen. Dabei werden Netzwerke von annehmbaren und würdigen Lebensformen entstehen, die sich neben, aber auch im Rahmen konventioneller Machtstrukturen etablieren können. Ich stelle mir vor, daß unsere menschengerechten Netzwerke immer attraktiver werden, je mehr die Machtstruktur aus den Fugen gerät.
Diese Zusammenarbeit in Netzwerken gegenseitiger Hilfe würde sich aus unserer Erfahrung von paticca-samuppada nähren, dem ,bedingten Entstehen' oder Entstehen in gegenseitiger Abhängigkeit. Alle Wesen entstehen in Systemen biologischer Verwandtschaft, gleichgültig ob sie im engeren Sinne lebendig sind oder nicht. Wir leben in einer Welt, in der alle Dinge uns hegen und fördern. Im Prozeß unseres fortschreitenden Verständnisses des Dhamma begreifen wir unsere Verantwortung im Zusammenhang von paticca-samuppada und lösen unsere kindlichen Erwartungen, gefördert zu werden, ab durch die erwachsene Verantwortlichkeit, andere zu fördern.
Buddhadasa Bhikkhu sagt: "Der ganze Kosmos ist wie eine Genossenschaft. Sonne, Mond und Sterne leben in einer Kooperative zusammen. Dasselbe gilt für Menschen und Tiere, Bäume und den Erdboden. Unsere Körperteile funktionieren als Kooperative. Wenn wir uns deutlich machen, daß die Welt ein genossenschaftliches Unternehmen auf Gegenseitigkeit ist, daß alle Menschen untereinander Freunde im Prozeß der Geburt, des Alterns, Leidens und des Todes sind - dann könnten wir eine edle, ja wahrhaft himmlische Umwelt aufbauen. Wenn sich unser Leben nicht auf diese Wahrheit gründet, dann werden wir alle untergehen."5
Ein Weg der Individuation, der die kindliche Selbst-Zentriertheit zu gereiften Ansichten und reifem Verhalten hinüberführt, der führt zu dieser ursprünglichen Linie zurück. Auf dem ,Edlen Achtfachen Pfad' des Dhamma wird in sorgfältiger und stetiger Disziplin ,Gier' zu ,Geben' (dana), und aus Ausbeutung wird Zusammenarbeit im Netzwerk. Aus dem rudimentären Gehirn eines Neugeborenen wird die mitfühlende, religiöse Gesinnung eines Älteren. Von außen betrachtet unterscheidet sich dieser Ältere nicht von den anderen, ihre oder seine Bedürfnisse nach Nahrung, Kleidung, Unterkunft, Arznei, Schlaf und Zuneigung sind dieselben wie bei jedem anderen. Aber das Lächeln wird erstaunlich offen sein.
Das ist ein Lächeln, das aus Buddhas Erfahrung kommt. Paticca-samuppada ist nicht einfach nur eine Theorie, sondern die grundlegende Erkenntnis, daß ich gemeinsam mit allen anderen Wesen im Werden bin, und alle Wesen gemeinsam mit mir. Ich leide mit allen Wesen, und alle Wesen leiden mit mir. Der Weg hin zu dieser Erfüllung ist weit und oft beschwerlich. Er erfordert Einschränkungen und die Abkoppelung von unseren gewöhnlichen Anliegen. Es ist ein Weg, der uns über viele Etappen führt, aber es ist wichtig, daß wir uns trotzdem auf keiner Etappe zu lange aufhalten. Das ist alles noch nicht unser wahres Zuhause.
Die Dhamma-Gesellschaft fängt mit solchen Leuten an und wird sich mit jenen durchsetzen, die diesen Weg des mitleidenden Verstehens gehen, die in jedem Augenblick die edle Wahl treffen und es zulassen, daß die anderen Optionen dann wegfallen. Es ist eine Gesellschaft, die uns durchaus bekannt vorkommt, mit Registrierkassen und Handelswaren, mit Feuerwehr und Polizei, mit Theatern und Festen, aber innerlich fühlt sie sich völlig anders an. Wie in einem chinesischen Restaurant im [indischen] Madras: die Dekoration kommt uns bekannt vor, aber der Curry ist verblüffend anders.
In den USA wird die Vorstellung vom Mitleiden als dem Prüfstein für unser Verhalten und unseren Lebensunterhalt durch die Kultur desavouiert. Trotzdem kann man doch hie und da katholische Sozialarbeiter bei der Verpflegung Armer beobachten oder Ordensleute, die Unterkünfte für Obdachlose bauen, oder traditionsgebundene Menschen, die zu ihren alten Methoden der Landwirtschaft zurückkehren.
Klein ist die Devise. Groß ist häßlich, wie James Hiliman deutlich gemacht hat.6 Großangelegte Wohlfahrt geht schief, große Unterkunftsprojekte werden zu Slums, die schlimmer als das sind, was sie ersetzen sollten, große Umweltorganisationen kompromittieren ihre eigenen Prinzipien, um zu überleben, und große Selbstbestimmungsbewegungen fallen aufgrund interner Kämpfe auseinander. Der Punkt ist, daß alles, was groß ist, in sich zusammenfällt, einschließlich der Regierungen, Banken, transnationalen Konzerne und der Weltwirtschaft als solcher, weil alle Dinge zusammenfallen. Kleines kann fließen, ist für Veränderung offen.
Das Problem besteht darin, daß das Große möglicherweise so lange nicht kollabiert, bis es nicht alles andere mit sich reissen kann. Und die Zeit ist wohl nicht auf der Seite des Kleinen. Wir sind uns dieser beispiellosen Gefahr bewußt. Dies nötigt uns, Bilanz zu ziehen und alles zu tun, was wir auf Grund unserer Vision von einer Dhamma-Gesellschaft tun können.
Die traditionelle Sangha dient dieser Vision als Modell. Eine gleichgesinnte Gruppe von fünf Menschen kann eine Sangha sein. Sie kann zu einer gewissen Größe heranwachsen, sich wiederum in selbständige Gruppen aufteilen und sich zu einem Netzwerk zusammenschließen. Als selbständige buddhistische Laienvereinigungen werden diese kleinen Gemeinschaften keine Sanghas im klassischen Sinne sein, aber sie werden das Erbe dieses Namens und vieler der ursprünglichen Intentionen antreten. Sie werden ebenfalls die Basisgemeindebewegung in Lateinamerika und den Philippinen beerben - katholische Netzwerke, die sowohl von der überkommen Religion als auch vom Anarchismus des 19. Jahrhunderts inspiriert sind.7 Katholische Basisgemeinden dienen in erster Linie als gottesdienstliche Gemeinschaften, Studiengruppen, solidarische Unterstützergruppen und Kernzellen für soziale Aktion. Sie können auch den Mitarbeiterstab und den Unterbau kleiner Unternehmen bilden.
Die katholischen Basisgemeinden wurzeln in Studium und Diskussion biblischer Texte. Auf ihren Treffen wird einem selbst bewußt, daß Gott ein Verbündeter derer ist, die die Armen und Unterdrückten befreien werden. Das ist Befreiungstheologie von Herz und Gemüt. Es bedeutet einen inneren Wandel, der die Kraft freisetzt, eng mit anderen zusammen am Werke Gottes mitzuarbeiten.8
Die buddhistische Entsprechung zum Bibelstudium wäre die Kontemplation und Bewusstmachung von paticca-samuppada, das heißt der Einheit gedanklicher Gegensätze wie "das Eine" und "das Viele", wie wir es in der Praxis des Zen kennen, oder der gegenseitigen Abhängigkeit, wie sie in den heiligen Texten etwa des Hua-yen ching9 deutlich wird. Ohne einen buchstäblichen Gott als Bundesgenossen wird man auf seine eigenen Quellen zurückgeworfen, um den richtigen Weg zu finden, und dort findet man das sich ewig verändernde Universum mit seinen wiederkehrenden Metaphern des ,gegenseitigen Durchdrungenseins' als dem immerwährenden Verbündeten.
Noch anderes kann von der Befreiungstheologie gelernt werden. Wir erfahren, daß wir nicht unsere Berufe aufgeben müssen, um selbständige Laien-Sanghas zu bilden. Die meisten Basisgemeinden in Lateinamerika und den Philippinen sind einfach Gruppen, die sich wöchentlich treffen. In buddhistischen Ländern können Zusammenarbeitende einer Institution zur gegenseitigen Unterstützung und zur religiösen Praxis zusammenkommen. In den größten amerikanischen Firmen wie etwa IBM gibt es sicherlich eine Zahl von Buddhisten, die ähnliche Gruppen bilden könnten. Wir könnten auch Mit-Wohn-Möglichkeiten organisieren, die gemeinsames Instandhalten, gemeinschaftliche Kinderbetreuung und Transport erlauben, so daß einzelne reihum freigestellt werden, um an Meditation, Studiengruppen und gesellschaftlicher Betätigung teilnehmen zu können. Die örtlichen Gruppen der Buddhist Peace Fellowship könnten darüber nachdenken, wie die Methode und das Ideal der Basisgemeinden ihnen dazu verhelfen könnten, daß ihre Programme und Ziele noch klarer und besser werden.
Dann brauchten Leute, die in Firmen oder Behörden arbeiten, nicht mehr zu kündigen, wenn sie in buddhistischen Basisgemeinden leben wollen. Sie könnten in ihren Firmen oder behördlichen Arbeitsplätzen bleiben und dann bei anderen Firmen und Behörden die Entwicklung und Vernetzung von Gemeinschaften (nicht nur buddhistischen) vorantreiben. Natürlich liegt die Zukunft im Dunkeln, aber ich schätze die Mythologie der International Workers of the World ("eine neue Gesellschaft in der Hülle der alten heranwachsen lassen"), nach der neue Netzwerke gedeihen können, wenn die alten Formen zusammenbrechen.
Dieser Zusammenbruch wird - wenn überhaupt - natürlich nicht morgen geschehen. Wir dürfen das Stehvermögen des Kapitalismus nicht unterschätzen. Auch kann der komplexe, dynamische Prozeß der Vernetzung nicht plötzlich in Szene gesetzt werden. Als William und Kathleen Whyte 1988 Mondragon untersuchten, den Prototyp eines großen, dynamischen genossenschaftlichen Unternehmens in den drei baskischen Ländern von Nordspanien, haben sie mehr als 100 Arbeiterkooperativen und Fördervereine mit 19.500 Arbeitern gezählt. Das sind kleine, manchmal sehr kleine Unternehmen, die durch wenig mehr als einfach guten Willen und ein tiefes Verständnis für das Gemeinwohl miteinander verbunden sind. Heutzutage stellen sie einen großen Verbund von Geldinstituten, Industrie und Bildungseinrichtungen dar, der sich langsam und beständig aus einer einzigen Unterrichtsklasse einer Technikerschule herausgebildet hat, die 1943 gegründet worden war.10
Wir müssen mit unseren eigenen Trainingsgruppen anfangen. Es lohnt sich, Mondragon zu studieren, ebenso die Industrien in Arbeiterbesitz, die dichter bei uns liegen wie etwa die Sperrholzfirmen im pazifischen Nordwesten. 1972 hat Carl Bellas 21 solcher Firmen untersucht, deren interne Struktur auf hochmotivierten Beratungsausschüssen beruhte, die sich den vielen Gesichtspunkten der Produktion widmeten, und deren Sprecher einer Vollversammlung gegenüber rechenschaftspflichtig waren. 11
Im Verlauf unserer Übungsgruppen ist es auch wichtig, daß wir die Mechanismen der herrschenden Wirtschaftsstruktur untersuchen. Unsere Zivilisation ist vom Wucher und seinen Triebkräften erbaut worden. Das Wort "Wucher" hat eine alte und eine neue Bedeutung. Im Geiste des alten Wortsinnes - Geld gegen Zinsen verleihen - haben kleine und große Banken der Welt dafür gesorgt, daß viele Menschen auf der ganzen Welt über viele Generationen hinweg ein eigenes Haus haben, einen eigenen Hof bewirtschaften und Geschäfte betreiben konnten. Jm Geiste der modernen Wortbedeutung aber -Geldverleih gegen extrem hohe Zinsen - sind einige dieser Banken zu gigantischer Größe angewachsen und haben letztlich dazu beigetragen, Kleinbauern von ihrem Land oder kleine Geschäftsleute aus ihren Läden zu vertreiben und Hauseigentümer mit lebenslänglichen Hypotheken zu belasten.
Die katholische Kirche vertrat über 1800 Jahre lang eine klare und konsequente Lehrmeinung über die Sünde des Wuchers im alten Wortsinne von verzinslichem Geldverleih. Es hat über die Jahrhunderte hinweg fast 30 offizielle kirchliche Erklärungen gegeben, die den Zins verdammten.
Von anderen Fraktionen des Vatikan her wurde jedoch stillschweigend Toleranz gegenüber dem Wucher geübt, solange Juden ihn praktizierten. Die Kirche war ja in Blüte, als (außer jüdischen Kreditinstituten) unter anderem auch die Bankier-Familie Medici die Renaissance mitstützte. Zur gleichen Zeit wurden Pogrome allemal gutgeheißen. Damit hatte sich die moralische Integrität der Kirche kompromittiert. Endlich wurde im frühen 19. Jahrhundert diese Art von Heuchelei aufgegeben - im Grunde bereits zu spät, da der Same des Holocaust bereits gesät war. Heutzutage entschuldigt sich der Papst bei den Juden, und der Vatikan hat nun seine eigene Bank. Wucher im alten und im neuen Sinn ist in der gegenwärtigen Weltkultur die übliche Handlungsmaxime.
Jedoch können moderne Bankiers wie schon die Medici Philanthropen sein. In fast allen Städten der USA werden Museen, Symphonieorchester, Krankenhäuser und Schulen von Bankiers und ihren Geldinstituten gefördert. Banken haben fast die gleiche gesellschaftliche Funktion wie traditionelle asiatische Tempel: sie kümmern sich um die Armen und fördern die Kultur. Das ist echte Wohlfahrt, und es ist zugleich sehr gute Öffentlichkeitsarbeit.
In den Stadtteilen einiger amerikanischer Städte, zum Beispiel den Westwood-Vororten von Los Angeles, sehen die Banken sogar aus wie Tempel. Sie sind in der Tat die Tempel unseres sozio-ökonomischen Systems. Der Bankier verhält sich freundlich, aber sein Interesse (interest)an uns beschränkt sich letzten Endes auf die Zinsen (interest), die er aus uns herausholen kann.
Eine der Banken in Hawaii hat den Slogan: "Wir sagen ,Ja' zu Dir," was wohl soviel bedeutet wie: "Wir sind auf Dein Geld aus." Ihr Slogan wird endlos im Radio und Fernsehen gesungen, und wenn er in Zeitungen und Zeitschriften erscheint, ist er bereits ein Ohrwurm. Ähnliche leichtgewichtige und zugleich hinterlistige Überredungskünste werden gegenüber Dritte-Welt-Regierungen benutzt, wenn es um den Bau von Straßen, von Staudämmen und Verwaltungshochhäusern geht.
Regierungen und Planer in der Dritten Welt sind in der Tat die Narren der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds. "Man muß sich darüber im klaren sein, daß IWF-Programme nicht dazu gedacht sind, die Wohlfahrt der Bevölkerung zu vermehren. Sie sind dazu gedacht, die Zahlungsverpflichtungen auszugleichen... Der IWF ist der oberste Wächter über das Interesse von Kapitalisten und Bankiers, die international Handel betreiben." 12
Dies sind Beobachtungen des Wirtschaftswissenschaftlers Kan Polanyi Levitt, die als Motto einer Studie mit dem Titel Banking on Roverty zitiert werden. Die Herausgeberin des Buches schließt damit, daß die Politik des IWF und der Weltbank "sich schwerwiegend in die souveräne Verantwortlichkeit vieler Regierungen der Dritten Welt einmischen. Diese Politik bedeutet oft nicht nur einen größeren zusätzlichen Einschnitt im Lebensstandard des ärmsten Teils einer Gesellschaft in der Dritten Welt. Sie wird vielmehr auch kaum die wirtschaftlichen Resultate bringen, um derentwillen sie im Namen der Ärmsten veranstaltet wird." 13
An der Bucht von Bombay zeigen die großzügigen Appartmenthäuser, daß die Erste Welt mit ihrem Wohlstand und ihrer Muße gesund und munter ist inmitten der wohlhabenden Klassen der alten Dritten Welt. Die Dritte Welt mit ihrer Armut und ihren Krankheiten flammt in den Städten und Bauernhöfen der alten Ersten Welt auf. In The Prosperous Few and the Restless Many schreibt Noam Chomsky: "1971 demontierte Nixon das Bretton-Woods-System [von 1944] und deregulierte damit die Währungen. Dies und noch andere Veränderungen haben die Menge des unregulierten Kapitals in der Welt unglaublich erhöht und das beschleunigt, was man die Globalisierung der Wirtschaft nennt. Das ist eine hübsche Art zu sagen, daß man nun Arbeit in Gebiete hoher Repression und niedrigen Lohnes exportieren kann." 14
Fabriken aus Los Angeles wurden nach Osteuropa verlegt, nach Mexiko und Indonesien, und zogen dort Arbeiter aus der Landwirtschaft an. In der Zwischenzeit geraten die Opfer in Los Angeles und anderen sozialen Brennpunkten der Vereinigten Staaten, einschließlich trostloser abgelegener Kleinstädte, in großen Zahlen auf die schiefe Bahn und an Drogen, um sich von ihrer scheinbar hoffnungslosen Armut zu erleichtern. Eine Million amerikanischer Bürger befinden sich derzeit im Gefängnis, dazu etwa zwei weitere Millionen mit Bewährungsstrafen. Mehr als die Hälfte davon wurde wegen Drogendelikten verurteilt (Dez.1994). Die Lage wird sich weiter verschlimmern. Die Bürger Deutschlands haben bei der Wahl von 1932 Hitler zum Kanzler gewählt und damit ganz freiwillig dem Faschismus Tür und Tor geöffnet. Ebenso haben die Bürger der USA einen Kongreß gewählt, der anscheinend entschlossen ist, eine beständige Unterschicht zu schaffen; der Gefängnisausbau soll zur Unterbringung eines Großteils dieser Schicht dienen.
Gibt es denn gar keine Hoffnung? Wenn Großbanken, multinationale Konzerne und gleichgesinnte Regierungen bei ihrer Strategie bleiben, die Wenigen im Wohlstand und die Vielen arm zu halten, wohin können sich dann kleine Bauern, Ladenbesitzer und die Leiter von Gesundheitszentren und Sozialdiensten wenden, wenn sie Startkapital für ihre Unternehmen oder Geld zur Überbrückung von Schwierigkeiten brauchen? In den USA werden die staatlichen Förderungen von Kleinbetrieben und Kleinbauern ebenso wie Zuschüsse an Gesundheitszentren und Sozialdienste gekürzt. Hilfe dieser Art ist nur gering, oder es gibt sie überhaupt nicht in anderen Teilen der Welt, mit bemerkenswerten Ausnahmen in Nordeuropa.
Seit Generationen bis auf den heutigen Tag haben ,Kreditgenossenschaften zur Anschlußfinanzierung' (revolving credit associations), die man in China hui, in Korea kye und in Japan tanamoshi nennt, das Startkapital für Bauern und kleine Geschäftsleute sowie Kurzzeitkredite für Hochzeiten, Begräbnisse und Schulgelder bereitgestellt. In Siam gibt es Reis-Banken und Büffel-Banken, damit die armen Dörfler Rohstoffe und Erzeugnisse miteinander teilen können. Die Grameen-Banken in Bangladesh wurden von den Armen für die Armen eingerichtet. Die Anteile sind jeweils sehr kleine Beträge von umgerechnet höchstens ein paar Dollar, aber zusammengenommen reichen sie aus für Kredite zu sehr niedrigen Zinsen an Bauern und Ladenbesitzer." 15
Ähnliche traditionelle Genossenschaften gibt es in den meisten anderen Kulturen. Solche Vereinigungen bestehen aus gleichgesinnten Verwandten, Freunden, Nachbarn, Arbeitskollegen oder ehemaligen Schulkameraden. Die Verabredungen über das Leihen oder Zurückzahlen unterscheiden sich jeweils, sogar innerhalb einer Kultur.16 In den USA haben sich die Genossenschaften außerhalb des Systems gegründet, mit Hilfe von Interimsaktien und Arbeitsgutscheinen, am bekanntesten Ithaca Hours mit 1.200 Unternehmen.17 Die Währungseinheit im letzteren Fall ist der Entsprechungsbetrag zu zehn US-Dollar, weil das als der Stundenlohn betrachtet wird. Die Währung wird durch die Zusicherung von Arbeit durch die Mitglieder des Systems garantiert.
Wir können uns solche Modelle zunutze machen, so daß wir selbst Projekte entwickeln können, die unseren spezifischen Erfordernissen und Umständen gerecht werden. Wir können äuf eigenen Füßen stehen und uns gegenseitig helfen in solchen Systemen, die den Vielen dienen, anstatt den Wohlstand der Wenigen zu vermehren.
Und noch einmal: Klein ist schön. Obwohl Großes auch schön sein kann, wenn es sich um ein Netz selbständiger Einheiten handelt, sind monolithische Strukturen dennoch problematisch, selbst wenn sie von religiösem Idealismüs genährt werden. Islamische Ökonomen denken über nationale Bankensysteme nach, die eher durch Investitionen als durch Zinsen funktionieren. Sie weisen allerdings darauf hin, daß eine solche Struktur nur in einem Land möglich ist, in dem Geldverleih gegen Zinsen verboten ist, und wo entsprechende Vergehen auch vom Staat geahndet werden. 18
So ist für diejenigen von uns, die nicht gerade in bestimmten islamischen Ländern leben, die den Koran wörtlich nehmen wollen, wie etwa Pakistan und einige der Golf-Staaten, das makrokosmische Konzept eines zinsfreien Bankensystems wahrscheinlich nicht praktikabel.
Natürlich haben Kreditgenossenschaften zur Anschlußfinanzierung' Probleme, wie dies mit allen menschlichen Vereinen der Fall ist. Es kommen Zahlungssäumnisse vor, aber der Druck von Freunden und Verwandten hält diese auf einem Minimum. In einem buddhistischen Darlehensverein würde die Disziplin der Dhamma-Praxis solche Probleme noch weiter verringern. Dessen Sitzungen könnten so strukturiert sein, daß ein Ritus und Dhamma-Lehrge spräche die Mitglieder daran erinnern, daß sie die Tugenden des Buddha-Dhamma praktizieren und paticca-samuppada in ihrem täglichen Leben zur Anwendung bringen. Sie praktizieren Vertrauen, denn alle Wesen sind Buddhas, wie es uns Hakuin Zenji und zahllose andere Lehrer aufzeigen.19 Sicherlich würde sich nur aus einem ernsthaften Notfall heraus ein Anlaß für Verstöße ergeben, und ein Fonds für Unvorhergesehenes könnte für solche Situationen genügen.
In kleinen von Buddhisten getragenen Landwirtschaften oder Geschäftsbetrieben könnte die Praxis des Dhamma aber noch eine weitere Rolle spielen. Unter dem Einfluß von Buddhisten ist in den 1970er Jahren die Bewegung "Ehrliches Geschäft' in San Francisco entstanden. Das war ein Netz kleiner Läden, deren Besitzer und Angestellte sich von Zeit zu Zeit trafen, um sich gegenseitig Mut zu machen. Ihr Ziel war es, dem Gemeinwohl zu dienen und nur soviel Verdienst aus ihrem Verkauf zu erzielen, daß sie sich selbst ernähren, ihre Geschäfte weiterführen und ihre Miete zahlen konnten. Ihre Rechnungsbücher lagen zur Einsicht für die Kunden offen auf der Ladentheke.20
Die Bewegung selbst hat nicht überlebt, obwohl progressive Geschäfte hier und da immer noch die Übung beibehalten, ihre Bücher den Kunden offenzulegen.21 Offensichtlich war das Netzwerk "Ehrliches Geschäft" nicht gut genug organisiert, um den kulturellen Wandel von der neuen Zeit der 1970er Jahre zur alles durchdringenden Gier der 1980er Jahre zu überstehen. Ich vermute, daß die Anzahl der teilnehmenden Geschäfte noch keine kritische Menge erreicht hatte, und viele von ihnen mögen kommerziell nicht sonderlich attraktiv gewesen sein. Vielleicht war auch ihr religiöses Engagement nicht besonders tief gegründet. Vielleicht gab es auch nicht das Gefühl der Dringlichkeit einer Alternative, wie es in der Dritten Welt ausgeprägter sein mag - eine Dringlichkeit, die mit Sicherheit spürbar werden wird, je mehr das herrschende System die natürlichen Ressourcen immer stärker aufbraucht. (Diese Dringlichkeit ist im Schrifttum der Firma Real Goods spürbar. Wir wollen hoffen, daß diese bemerkenswerte [kalifornische] Firma zum Vorreiter für andere wird - siehe Anm. 21.) In jedem Falle kann man wahrscheinlich etwas von der Bewegung "Ehrliches Geschäft" lernen, und ihre Fehler vermeiden.
Wenn man ein Kleinunternehmen gründet - auch Gesundheitszentren oder Sozialdienste und deren Netzwerke, ist es wichtig, sich nicht mit einer erreichten Stufe zufrieden zu geben. Ein normaler Unternehmer, dem es um den notwendigen Unterhalt seiner Familie geht und um einen Plan für die Ausbildungskosten und den Ruhestand, wird jede Alternative abklopfen und jede Marktnische nach eventuellen Verdienstchancen auskundschaften. Wenn auch seine Motivation das Dienen und sein Einsatz für die Familie ist, muß der Geschäftsführer in einem "Ehrlichen Geschäft" dennoch genauso sorgfältig und gewitzt sein.
Wer damit beschäftigt ist, das Lobbying für eine Reform der Politik und der Wirtschaft zu organisieren, muß ebenfalls die Konsequenzen sorgfältig bedenken. Die Basisgemeinden im ganzen Inselreich der Philippinen haben den Despoten Marcos gestürzt, aber die neue Gesellschaft war doch noch nicht flügge und ist sofort wieder geduckt worden. Die erreichte Stufe war nicht der Gipfel, und die Euphorie wich dem Gefühl, betrogen worden zu sein. Aber man kann sicher sein, daß viele jener kleinen Gemeinschaften immer noch intakt sind und die Stellung halten. Ihre Mitglieder haben aus der jüngsten Geschichte gelernt und setzen den Kampf um Gerechtigkeit fort.
Der große Organisator der Quäker in der Mitte des 20. Jahrhunderts, A.J. Muste, soll einmal gesagt haben: "Es gibt keinen Weg zum Frieden. Frieden ist der Weg." Für unsere Zwecke würde ich das so umformulieren: "Es gibt keinen Weg zu einer gerechten Gesellschaft; unsere gerechte Gesellschaft ist der Weg." Auch gibt es keine Stufe, auf der wir uns ausruhen könnten. Es gibt nur die innere Ruhe, die wir in der Arbeit und buddhistischen Praxis spüren.
Diese innere Ruhe ist so wichtig. In der kurzen Geschichte der Vereinigten Staaten gibt es viele Berichte über utopische Gesellschaften. Fast alle sind vorbei - einige haben nur ein paar Wochen überlebt. Wenn ich es genauer betrachte, bekomme ich den Eindruck, daß viele sich deswegen wieder auflösten, weil sie sich nie solide als religiöse Gemeinschaft entwickelt hatten. Sie waren mit ihrer Organisation zufrieden, bevor sie wirklich organisiert waren.
Heutzutage fallen Familien fast so schnell auseinander wie organisierte Gemeinschaften, aber die Praxis des Dhamma kann in einem Familienhaushalt ebenso wie in der Sangha eine Rolle spielen. Sulak Sivaraksa sagt: "Wenn auch nur einer in einer Familie meditiert, profitiert die ganze Familie davon."22 Das Konkurrenzverhalten wird in die Entwicklung von Begabungen und Fertigkeiten kanalisiert und die Gier in die Befriedigung aus einer erfüllenden Arbeit. Alles Neue und neue Technologien werden in angemessener Weise gebraucht, aber all das darf weder Zeit noch Energie von dem Weg abzweigen, der zur Individuation und zum Mitgefühl führt.
Neue Dinge und neue Technologie sind sehr verführerisch. Ich habe als kleiner Junge eine Zeitlang bei meinen Großeltern gelebt. Es waren die Zeiten vor dem Kühlschrank, und wir waren zu weit von der Stadt entfernt, um uns Eis zu besorgen. So hatten wir außen vor der Küche unter einer Eiche einen Kühler - eine Art Schrank fast ganz aus Fliegenfenster. Er war mit Sackleinen zugedeckt und wurde durch eine schlaue Tropf-Vorrichtung von oben her gewässert. Die Verdunstung der Hülle aus Sackleinen hielt den Inhalt des Schranks kühl, die Milch frisch und die Butter in guter Verfassung. Wir brauchten keinen Kühlschrank. Den Grund, warum meine Großeltern in späteren Jahren doch einen kauften, vermute ich einfach darin, daß sie von der Werbung und von Freunden überredet wurden.
Auch wir können unsere Kühlkammer direkt vor der Küchentür haben oder auf dem Balkon des Mietshauses und damit das Geld, das der Kühlschrank gekostet hätte, für die Ausbildung unserer Kinder sparen. Wie unsere Vorfahren auch können wir zu Fuß gehen oder öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Wir können uns wie die Amish-Leute zusammentun und füreinander die Häuser bauen (vgl. Anm. 3). Wir können uns mit unseren Freunden zusammenschließen und können Söhnen und Töchtern in der Phase, in der sie mit den gesellschaftlichen Konventionen experimentieren und ihre Grenzen ausprobieren, die Übergangsriten anbieten.
Unsere Vorfahren haben für ihre Nachkommen geplant, sonst gäbe es uns wohl nicht. Unsere kleinen buddhistischen Laiengruppen können eine Struktur für die Praxis des Dhamma darstellen. Sie können auch ebenso die modellhafte und flexible Struktur für unsere Nachkommen sein, nun ihrerseits das Dhamma zu praktizieren - für die nächsten zehntausend Jahre.
Indem wir das Dhamma bewahren (sustaining), können wir auch dauerhafte (sustainable) Landwirtschaft, dauerhafte (nachhaltige) Waldwirtschaft und andere dauerhafte Unternehmungen aller Art betreiben. Unsere Vorfahren erhalten uns, und wir erhalten unsere Nachkommen. Unsere Familienmitglieder und Kollegen nähren und erhalten uns, und wir erhalten sie - so wie in alten Zeiten dana in Umlauf gegeben wurde.
Bei diesem Umlauf des Geschenks bietet traditionellerweise der buddhistische Mönch das Dhamma an, so wie wir ihm Nahrung, Kleidung, Unterkunft und Medizin anbieten. Aber er ist auch ein Junggeselle. Die meisten von uns können keine wandernden Bettelmönche werden. Aber als jemand, der sein Zuhause verlassen hat, fordert der Mönch uns dazu heraus, ebenfalls von zu Hause wegzugehen - ohne das Haus zu verlassen. Hier gibt es zwei Bedeutungen von "zu Hause". Es kann das Zuhause der Familie sein; das andere mag zwar auch mit der Familie zu tun haben, meint aber auch den inneren Ort von Frieden und Ruhe, wo die Hingabe an den Buddha-Weg der Selbstlosigkeit und Zuwendung über allem steht. Die Mönche und ihr System von Dana sind tatsächlich ein ausgezeichnetes Modell für uns. Das Geschenk wird in Umlauf gegeben, und verbreitet mit jeder Runde Persönlichkeit und Würde. Ein Fest zum Feiern der Runden macht den Kindern Spaß und schafft Befriedigung für die Älteren.
Ich meine damit nicht, daß die Praxis des Weiterreichens des Geschenkes ein wonniger und lichter Vorgang wäre. Die Praxis würde nämlich auch bedeuten, daß man es mit niederträchtigen Imperativen in einem selbst und in anderen zu tun bekommt. Der Buddha und seine frühen Anführer haben die Regeln in der ,Ordensregel' (vinaya) jeweils nach solchen Vorfällen erweitert, die man als unangemessen betrachtete. Ob nun die buddhistische Basisgemeinde einfach eine Gruppe von gleichgesinnten Nachfolgern des Dhamma ist, die sich zur gegenseitigen Hilfe und zum Studieren trifft, oder ob sie sich organisiert hat, um öffentlich für Gerechtigkeit einzutreten, oder ob sie ein Unternehmen betreibt, eine kleine Landwirtschaft oder ein Gesundheitszentrum, in all diesen Fällen müssen jedenfalls die Richtlinien klar sein. Man müßte sich jederzeit verbindlich auf allgemeine Vereinbarungen beziehen können in der Frage, was großzügiges Verhalten ist. Wenn jemand von diesen Maßstäben abgeht, könnten dann allmählich, wenn man es für richtig hält, Formen des Tadels in einem Geist des Mitgefühls eingeführt werden. Man sollte auch Richtlinien festlegen für die gemeinsamen Sitzungen, für die Durchführung der Arbeit und für den Aufbau von Netzwerken. Es muß Unterricht geben, einen Ritus und das Miteinander-Teilen. All dies funktioniert nach der Methode "Versuch und Irrtum", wobei das Vorhandene eine Anleitung, nicht ein Diktat abgeben soll.
Guter Wille und Ausdauer setzen sich durch. Der Kreislauf des Geschenk-Austauschs kann zehntausend Jahre dauern oder einen Augenblick. Jede Treffen des kleinen Sangha kann eine Erneuerung der Praxis sein; jeder Arbeitstag kann eine Auffrischung der Praxis sein, jede Begegnung, jeder Gedankenblitz. Bei jedem Schritt auf dem Weg denken wir daran, daß Menschen und die vielen Wesen auf der Welt wichtiger sind als Güter.
Übersetzung aus dem Englischen: Ulrich Dehn, Überarbeitet von Franz-Johannes Litsch
Fußnoten:
1. E.F. Schumacher, Small is Beautiful. Economics as if People Mattered, New York: Harper & Row, 1975, S.55.
2. A.T. Ariyaratne, Collected Works, Bd.1, Dehiwala (Sri Lanka): Sarvodia Research Institute, o. J.; Sulak Sivaraksa, A Buddhist Vision for Renewing Society. Collected Artides by a Concerned Thai Intellectual, Bangkok: Thai Watana Panich, 1981. [Erstmals in deutscher Sprache ist eine Neufassung der Aufsatzsammlung von 1992 erschienen: Sulak Sivaraksa, Saat des Friedens. Vision einer buddhistischen Gesellschaftsordnung, Hg. Tom Ginsburg, Vorwort vom Dalai Lama, Einführung von Thich Nhat Hanh, Braunschweig: Aurum, 1995.]
3. Wes Jackson, Altars of Unhewn Stone. Science and the Earth, San Francisco: NorthPoint Press 1987, S.126.
4. E.F. Schumacher, Small is Beautiful, S.55.
5. Donals K. Swearer, Three Legacies of Bhikkhu Buddhadasa, in: The Questfor a New Society, Hg. Sulak Sivaraksa, Bangkok: Thai Inter-Religious Commission for Development 1994, S.17. [Auf Deutsch: Donals K. Swearer, Drei Vermächtnisse von Buddhadasa Bhikkhu.]
6. James Hillman, And Huge is Ugly. Tenth Annual E.F. Schumacher Memorial Lecture, Bristol (England), November 1988.
7. Charles B. Maurer Call to Revolution. The Mystical Anarchism of Gustav Landauer, Detroit: Wayne State University Press, 1972, S.58-66; The Anarchist Collectives. Worker's Self-Management in the Spanish Revolution 1936-1939, hg. von Sam Dolgof New York: Free Life Editions, 1974.
8. Mev Puleo, The Struggle is One. Voice and Visions of Liberation, Albany: State University of New York, 1994, S.14,22,25,29.
9. Thomas Cleary, Entry into the Inconceivable. An Introduction to Hua-yen Buddhism, Honolulu, University of Hawaii Press, 1983, 5.7.
l0. William Foote Whyte & Kathleen King Whyte, Making Mondragon. The Growth and Dynamics of the Worker Cooperative Complex, Ithaka, N.Y.: ILR Press, Cornell University, 1988, 5.3,30.- Andere Kooperativen, die es sich lohnen würde zu untersuchen, sind die Transnational Information Exchange, die Gewerkschafter aus der ganzen Welt aus derselben Branche zusammenbringt, die Innovation Centers, die in Deutschland entworfen wurden, um Arbeitern zu helfen, die mit neuen Technologien zurechtkommen müssen, und Emilia Romagna in Norditalien, Netzwerke unabhängiger Industrien, die gemeinsam forschen und ihre Produkte vermarkten.
11. Carl J. Bellas, Industrial Democracy and the Worker-Owned Firm. A Study of Twenty-One Plywood Companies in the Pacific Northwest, New York: Praeger Publications, 1972.
12. Jill Torne (Hg.), Banking on Poverty. The Global Impact of the IMF and World Bank, Toronto: Between the Lines, 1983.
13. A.a.O., S.14, Vgl. ebenso Dough Bandow & lan Vasquez (Hg.), Perpetuating Povertt. The World Bank, the IMF, and the Developing World, Washington, D.C.: ato Institute, 1994, sowie Kevin Danaher, 50 Years is Enough. The Case Against the World Bank and the IMF, Boston: South End Press, 1994.
14. Noam Chomsky, The Prosperous Few and the Restless Many, Berkeley (Kalifornien): Odonian Press, 1993, S.6.
15. Abu N.M. Wahid, The Grameen Bank. Poverty Relief in Bangladesh, Boulder: Westview Press, 1993.
16. Vgl. z.B. Ivan Light & Edna Bonacich, Immigrant Entrepreneurs. Koreans in Los Angeles, 1965-1982, Berkeley, Los Angeles, London: Universitv of California Press, 1988, 5.244.
17. Paul Glover, Creating Economic Democracy with Locally-Owned Currency, Terrain, Dezember 1994, S 10f; An Alternative to Cash. Beyond Banks or Barter, New York Times, 31.5.1993, S.8.
18. Nejatullah Siddiqui, Banking Without Interest, Delhi: Markazi Maktaba Islami 1979, S. X-XII.
19. Robert Aitken, Encouraging Words. Zen Buddhist Teachings for Western Students, San Francisco: Pantheon Press, 1993, S.179.
20. Michael Phillips & Sally Rashberry, Honest Business. A Superior Strategy for Starting and Conducting Your Own Business, New York: Random House 1981.
21. Zum Beispiel ,Real Goods', Kleinhändler für Waren, die helfen, die Region zu erhalten. 966 Mazzoni Street, Ukiah, USA/CA 95482-0214, März-Katalog 1995, S.37
22. Sulak Sivaraksa, Saat des Friedens. Vision einer buddhistischen Gesellschaftsordnung, Hg. Tom Ginsburg, Braunschweig: Aurum, 1995, S. 130f.
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