Was ist gesellschaftlich engagierter Buddhismus
von Franz-Johannes Litsch
Rückzug von der Welt, Entsagung von Besitz und sinnlicher Genüsse, rasierter Kopf und Almosenschale, jahrelange Meditation in der Abgeschiedenheit einsamer Höhlen - solche und ähnliche Stereotype bestimmen das Bild buddhistischen Lebens in Asien. Der Buddhismus hat zweifellos diese weltabgewandte, der Selbsterkenntnis und Überwindung von Anhaftung gewidmete Seite, aber er hat nicht nur diese. Thailändische Mönche, die sich für den Schutz des tropischen Waldes einsetzen; taiwanesische Buddhisten, die Millionen an Hilfsgelder für Tsunami-Opfer in Sri Lanka sammeln oder in Afrika Krankenhäuser und Sterbehospize errichten; buddhistische Mönche und Laien, die Friedensmärsche in Kambodscha durchführen; japanische Buddhisten, die sich um die Einhaltung der Menschenrechte in Burma bemühen; tibetische Nonnen, die Aktionen des gewaltlosen Widerstands gegen die Unterdrückung Tibets durch die chinesische Regierung praktizieren - sie und viele andere repräsentieren die weltzugewandte, sozialengagierte Seite des Buddhismus, die im Westen zumeist völlig übersehen wird.
Kein Zweifel, der Erleuchtungspfad des Buddha ist vom Ansatz wie vom Anspruch her ein Weg der Selbstbefreiung, den letztlich jeder nur alleine und selbstverantwortlich gehen kann. Er ist ein Weg des Loslassens von Anhaftung an unbeständige Dinge, Ziele und Konzepte und der Befreiung von allem selbstverursachten Leid (nirvana). Aber Buddha Sakyamuni, der vor über 2500 Jahren den buddhistischen Weg begründete, lehrte, daß es das vermeintliche, einzelne, beständige, isolierte Ich, das befreit werden soll oder will, letztlich nicht gibt. Die Befreiung besteht stattdessen gerade in der Überwindung der Vorstellung eines Ichs, das aus sich und für sich und vom anderen getrennt existiert. Sie besteht in der Einsicht, dass wir in Wahrheit mit allem und allen (Menschen, Wesen und Dingen) zutiefst verbunden sind. Und das bedeutet, daß der Weg des Buddha zwar immer bei uns selbst beginnen muss aber nicht bei uns selbst enden kann, sondern nur in der Befreiung und im Erwachen aller. Der ernsthaft praktizierte Prozess des Erwachens drückt sich in spontaner Entfaltung von unparteischer Liebe (metta) und unbegrenztem Mitgefühl (karuna) aus. In bewusster Alltagsübung nehmen diese geistigen Qualitäten das Ziel des Weges vorweg und verwirklichen es zugleich.
Der Weg des Bodhisattva
Buddha selbst ist Vorbild hierfür und zeigte in seinem Handeln, daß Buddhismus letztlich immer engagierter Buddhismus ist. Denn nach Gotama Buddhas grossem Erwachen fasste er nicht den Entschluss, sich nun entgültig aus allem Weltlichen zu lösen und ins Nirvana einzutreten, sondern er begann eine 45 Jahre währende Tätigkeit als Lehrer, Heiler, Helfer, Aufklärer und Befreier zahlreicher suchender und leidender Menschen im damaligen Indien. Seine Lehren enthalten in den "Vier edlen Wahrheiten", im "Edlen achtfachen Pfad", in den 5 ethischen Grundprinzipien (pancasila) und in vielem anderen eine klare Orientierung auf heilsames Wirken gegenüber sich selbst und Anderen und innerhalb der Gesellschaft und der Natur. Darüber hinaus gibt der Buddha in den überlieferten Lehrreden, wie auch in den Lebensregeln für die Mönche und Nonnen zahlreiche Hinweise darauf, wie die sozialen Verhältnisse in den unterschiedlichsten Bereichen einen heilsameren Charakter bekommen könnten. Insbesondere bekundet der Buddha immer wieder seine konsequente Ablehnung jeder Gewalt und Intoleranz, seine Zurückweisung des brahmanischen Kastensystems, die grundsätzliche Gleichwertigkeit und gleiche geistige Potentialiät aller Menschen (Buddha-Natur), sowie unsere untrennbare Verbundenheit mit allen lebenden Wesen.
Der wohltätige Monarch
Mit der Ausbreitung des Buddhismus beginnt auch die Geschichte des gesellschaftlich, ja politisch engagierten Buddhismus und mit dem zum Buddhismus übergetretenen, indischen Kaiser Asoka (3. Jahrhundert vor Chr.) beginnt die Geschichte des Buddhismus als eine ganze Völker, Staaten und Kulturen prägende Religion. Öffentliche Wohlfahrt, Spitäler für Arme, Alte und Kranke, gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums sowie eine Gerichtsbarkeit, die weniger auf Strafe und mehr auf die Vermeidung von Verbrechen und die Besserung des Straftäters zielt, sind einige der Merkmale des von Asoka errichteten, ersten Sozialstaats der Geschichte. Mit Asoka verwarf auch erstmals ein Herrscher den Krieg als Instrument der Politik. Er legte großen Nachdruck auf die ethische Erziehung der Menschen und sorgte für den Schutz und die Anerkennung aller vorhandenen Religionen. In der Staatsverwaltung förderte er politische Dezentralisierung und die kommunale Selbstverwaltung. In wirtschaftlicher Hinsicht bemühte er sich um die Förderung der Wohlfahrt für breite Bevölkerungschichten durch die Minderung der Steuerlasten bei gleichzeitiger Förderung der Eigeninitiative von Bauern und Händlern (Staatskredite). Er erlies ein Verbot des Tötens der (Milch und Dung gebenden) Rinder (was in Indien bis heute gilt), sowie zahlreiche Maßnahmen zum Schutz von Bäumen und lebenswichtigen Umweltbedingungen.
Mahayana – die Ausbreitung des Buddhismus in Asien
500 Jahre nach Asoka ist der bedeutende südindische Philosoph Nagarjuna mit seinem Buch "Juwelen-kranz der königlichen Ratschläge" ein weiterer Meilenstein buddhistischer Sozialethik. Nagarjuna - später als Begründer des Mahayana-Buddhismus gesehen - sieht in der Transformation der eigenen Persönlichkeit ("Einsicht in die Leerheit des Geistes") das Fundament buddhistischer Ethik sozialen Handelns. Ebenfalls grundlegend ist für Nagarjuna das Prinzip der Gewaltlosigkeit. Wir sollen nicht in Hass und Fanatismus verfallen und nicht der Versuchung von Macht und Eigentum erliegen. Weil Gewalt bloß neue Gewalt schafft, lehnt Nagarjuna entschieden die Todesstrafe ab und fordert stattdessen - vor 2000 Jahren bereits - Rehabilitationsmaßnahmen für Strafgefangene. Wie Asoka plädiert er für öffentliche Wohlfahrt, wobei seine Sorge gleichermaßen menschlichen wie nicht-menschlichen Lebensformen gilt.
Die Ausbreitung des Buddhismus nach China und ganz Ostasien in der Gestalt des dem Bodhisattva-Ideal besonders verpflichteten Mahayana-Buddhismus – noch verstärkt durch den diesseitigen Pragmatismus, wie er der chinesischen Kultur eigen ist – ließ den Buddhismus auch in China eine breite soziale und gesellschaftliche Wirksamkeit entfalten. Während der Periode der 3-Reiche (ca. 200-600 n.Chr.) und der Tang-Dynastie (ca. 600-900 n.Chr.) - Zeiten starker sozialer und politischer Unruhe - gelangte der Buddhismus in China zu seiner größten Blüte und Ausbreitung, insbesondere in der Form des Chan (Zen). Die buddhistischen Tempel und Klöster jener Zeit zeichneten sich durch eine rege sozial-engagierte Tätigkeit aus. Es wird berichtet, daß Klöster an verarmte Bauern zinslose Kredite ausgaben und Krankenhospize sowie Schutzhäuser für Verfolgte und Obdachlose errichteten ließen. Ausserdem waren die Buddhisten sehr kreativ in der Entwicklung neuer Heilmittel und Therapien, um den bis dahin grossen Anteil an Azneimitteln aus tierischen Bestandteilen abzuschaffen.
Sozial engagierter Buddhismus in Asien war also nicht, wie lange besonders von christlicher Seite behauptet und verbreitet, dort völlig unbekannt und - wenn vorhanden - von christlichen Missionaren eingeführt, sondern war immer schon zu finden, ging allerdings gerade in den Zeiten des europäischen Kolonialismus, die den Buddhismus in fast ganz Asien in eine schwere Krise stürzten, sehr stark zurück. Bezeichnenderweise war das breite Wiedererwachen des Buddhismus in Asien nach dem Ende des offizellen Kolonialismus sehr eng mit einem ausgeprägten, neuen sozialen und politischen Engagement von Buddhisten verbunden. In dieser Zeit kam es sogar zu unterschiedlichen Versuchen einer sozialpolitischen Synthese von Buddhismus und Marxismus (Sri Lanka, Burma, Thailand, Laos, Vietnam, Kambodscha, China, Korea, Mongolei), die alle auf tragische Weise scheiterten.
Der Theravada - heutiger Motor des engagierten Buddhismus
Der heutige engagierte Buddhismus in Asien bietet das Bild vielfältiger und breitgefächerter Bewegungen, die das buddhistische Anliegen der existentiellen Befreiung mit dem Engagement für eine humane, gewaltfreie und soziale Lebensordnung sowie den Schutz der natürlichen Lebensumwelt verbinden. Vor allem in Thailand zeigt der engagierte Buddhismus eine ausgeprägte Gestalt. Hier sind Buddhisten in vielfältige soziale und ökologische Aktivitäten involviert. So gibt es im ländlichen Raum etliche buddhistische Gemeinschaften, die gemeinsam nach ökologischen Prinzipien ein Stück Erde bewirtschaften, lokales Handwerk betreiben und in erster Linie von den Dingen leben, die sie durch ihrer eigenen Hände Arbeit erzeugen. Einige solcher selbstorganisierten und selbstgenügsamen Gemeinschaften existieren schon seit etlichen Jahren. Das spirituelle Ziel wird mit einem Leben in Einfachheit und Bescheidenheit verbunden, wie es einst Buddha vorgelebt hatte und in Asien immer Tradition war.
Eine breite Bewegung für alternative Entwicklungsmodelle wurde durch eine Gruppe aufgeschlossen und kritisch denkender Mönche, die sog. "Development monks" (Entwicklungsmönche) vorangebracht. Angesichts der verheerenden Auswirkungen der über Asien hinwegrollenden, westlichen Konsum-, Medien- und Industriekultur sind es in wachsendem Maße auch Mönche und Nonnen (Maeji), die sich ihrer Verantwortung bewusst werden und der leidhaften Folgen annehmen. Besonders bekannt wurden in den letzten Jahren Klöster, die sich intensiv und selbstlos um HIV-infizierte Kranke und Sterbende oder um Drogenabhängige aus aller Welt kümmern. Als Thailand Mitte der 90er Jahre schwer von der wirtschaftlichen "Asienkrise" betroffen war, organisierten Tempel und Klöstern im ganzen Land kostenloses Essen für die zahlreich gewordenen Arbeits- und Obdachlosen. Und viele westliche Touristen, die von den Folgen des Tsunami an Weihnachten 2004 betroffen waren, lernten mit grosser Dankbarkeit die enorme Hilfsbereitschaft und Offenheit der buddhistischen Klöster und Laien in Thailand oder in Sri Lanka kennen.
Es sind vor allem thailändische Mönche und Laien, die als prominente Vertreter dem engagierten Buddhismus prägende, weit über Asien hinaus reichende Gestalt verliehen haben. Der hochangesehene Abt und Dharmalehrer Buddhadasa Bhikkhu traf mit seinen Konzept eines Dhamma-Sozialismus in Ost und West auf breites Interesse. Ajahn Buddhadasa wandte sich mutig und offen gegen den offiziellen Staats-Buddhismus im Lande, dem er ein Verharren in religiösen Floskeln und sinnentleerten Ritualen vorwarf womit er sich von den wirklichen Sorgen und Leiden der Menschen weit entfernt habe. In den letzten Jahren ist ein anderer prominenter Mönch und Dhammalehrer als herausragender Theoretiker und Lehrer für engagierten Buddhismus hervorgetreten, Phra Payutto. Zwar selber von starker Krankheit heimgesucht, hat er in wenigen Jahren ein umfassendes Werk an Schriften zu fast allen wichtigen Fragen moderner Gesellschaften und der menschheitlichen Zukunft vorgelegt; Schriften zu Buddhismus und Ökonomie, Buddhismus und Wissenschaft, Buddhismus und Erziehung usw. Für seinen Beitrag "Buddhist solutions for the twenty-first century" (Buddhistische Lösungen für das 21. Jahrhundert) erhielt er den Friedenspreis der UNESCO.
Nach dem weltweit berühmtesten Repräsentanten des engagierten Buddhismus, S.H. dem Dalai Lama, dem Oberhaupt des tibetischen Buddhismus, und dem vietnamesischen Mönch, Friedensaktivist und Buchautor Thich Nhat Hanh, gilt in Asien vor allem der 1997 mit der Verleihung des alternativen Nobelpreises ausgezeichnete thailändische Professor für Sozialwissenschaft Sulak Sivaraksa als der Vordenker für engagierten Buddhismus. Sulak wendet sich gegen die Übernahme westlicher Entwicklungsmodelle und Maßstäbe auf die "Entwicklung" der Länder in der Dritten Welt. Mit seiner Kritik am oberflächlichen, konsumfixierten Lebensstil sowie den Versuchen, diesen Lebensstil durch Schlagworte wie "Globalisierung" der ganzen Welt aufzuzwingen, hat Sulak gleichzeitig ein alternatives Entwicklungsmodell skizziert, das sich auf lokale Demokratie und Selbstversorgung sowie einen spirituell ausgerichteten Lebensstil gründet. Sulak ist heute der führende Gesellschaftskritiker seines Landes und der Sprecher der gewaltfreien Demokratie- und Ökologiebewegung. Internationale Bedeutung gewann Ajahn Sulak schliesslich durch das von ihm 1989 initiierte International Network of Engaged Buddhists (INEB), welches den engagierten Buddhismus in Asien auf eine neue Ebene hob und mittlerweile zu einer globalen Bewegung werden liess.
Sarvodaya und Tzu Chi - Engagement für die Armen
In Sri Lanka hat 1958 die Sarvodaya-Shramadana Bewegung ihren Ausgangspunkt genommen, die später auch auf Indien und andere Länder übergriff und bis heute einer der einflußreichsten Basisbewegungen des engagierten Buddhismus bildet. Sarvodaya Shramadana bedeutet wörtlich "Wohlfahrt und Erwachen aller". A.Y. Ariyaratne, ein junger Lehrer und Schüler Gandhis, begann in den fünfziger Jahren gemeinsam mit seinen Schülern in ärmlichen Gebieten Arbeitsferien zu veranstalten. Städtische Schüler bekamen so erstmals in ihrem Leben die Gelegenheit, mit Bauern und anderen Leuten vom Land zusammenzukommen und deren Sorgen und Nöte zu verstehen. Schnell folgten weitere Schulen und Bildungseinrichtungen diesem Beispiel. Jugendliche zogen freiwillig aufs Land, um Straßen und Bewässerungsanlagen zu errichten, halfen beim Aufbau von Kindergärten und landwirtschaftlichen Kooperativen, beim Betrieb von Dorfküchen ebenso wie bei der Entwicklung lokaler Handwerke. Innerhalb weniger Jahrzehnte entstand auf diese Weise eine basisdemokratische Entwicklungsbewegung, die heute ca. 10.000 Dörfer umfasst und deren beispielgebender Funke inzwischen auch in anderen Ländern zündete. Sarvodaya war auch in herausragender Weise darum bemüht, den jahrzehntelangen blutigen und grausamen Konflikt zwischen der tamilischen Separatismusbewegung und der singhalischen Regierung zu beenden. Der nunmehr geschlossene Waffenstillstand ist in hohem Masse Verdienst dieser Bewegung.
Ein Beispiel für engagierten Buddhismus in der heutigen Mahayana-Tradition ist die buddhistische Nonne Chen Yen. In Taiwan und anderen asiatischen Ländern geniesst sie große Verehrung und wird dort mit Mutter Theresa verglichen. Nachdem sie sich im Alter von 23 Jahren zum Leben als Nonne entschlossen hatte, lebte sie mit einer anderen Nonne viele Jahre in einer ärmlichen kleinen Hütte am Rand einer Stadt. Mit der Not der von den eingewanderten Chinesen diskriminierten Ureinwohner Taiwans konfrontiert, begann sie Mitte der sechziger Jahre für diese aktive Hilfe zu leisten. Unter ihren Schülern und Nachbarn warb sie dafür, täglich ein paar Münzen in ein Bambusrohr zu werfen. Mit dem so gesammelten Kleingeld versorgten die Nonnen - ungeachtet aller ethnischen Differenzen - die Kranken, Notleidenden und Sterbenden in ihrer Umgebung. Bald folgten auch andere Menschen diesem Beispiel tätigen Mitgefühls. So entstand die Buddhist Compassion Relief Tzu Chi Foundation, eine Bewegung, die enorm anwuchs und bald eigene Krankenhäuser, Ausbildungs- und Sozialeinrichtungen betrieb. Inzwischen ist die Tzu Chi Foundation längst über die Grenzen Taiwans hinausgewachsen und - unterstützt von 4 Millionen Mitgliedern - heute insbesondere in Indien, Indonesien und Bangladesh und selbst in Afrika und Südamerika aktiv.
Ahimsa – Gewaltlosigkeit und Versöhnung
Ahimsa heisst in Sanskrit Gewaltlosigkeit. Ahimsa steht jedoch nicht nur für die Vermeidung kriegerischer Mittel zur Lösung von Konflikten, sondern beginnt mit der Suche nach friedlichen und harmonischen Formen des Zusammenlebens in der Familie, bei der Arbeit und im täglichen Leben. In kaum einem anderen Land drang in den letzten Jahrzehnten politische Gewalt so tief in die Familien und Herzen der Menschen ein wie in Kambodscha. Nach dem Kriegsende für das von US-Bomben weithin zerstörte und traumatisierte Land sollen während der nun folgenden Schreckensherrschaft der Roten Khmer ca. 2 Mill. Menschen von eigenen Landsleuten in den "Killing Fields" auf brutale Weise umgebracht worden sein – weil sie zu langsam arbeiteten oder einfach weil sie eine Brille trugen. Nach der Vertreibung des Khmer Rouge durch die Vietnamesen folgte ein zwanzigjähriger Bürgerkrieg verfeindeter, jeweils nur über Teile des Landes herrschender Machtgruppen. Die lebensnotwendigen Reisfelder waren übersäht von Antipersonenminen, der Buddhismus und die Mönche und Nonnen waren fast ausgerottet. Nur Maha Ghosananda, der "Supreme Patriarch" des heutigen kambodschanischen Buddhismus und einige Dutzend Mönche hatten im Ausland überlebt. Seit Beginn der 90er Jahre führte Maha Ghosananda jedes Jahr mit Tausenden von Mönchen, Nonnen und Laien wochenlange Friedensmärsche durch das kriegszerstörte Land durch, um den orientierungslos gewordenen Menschen die Botschaft des Friedens, der Hoffnung und der Versöhnung zu bringen. Inzwischen haben die Bemühungen auch in diesem Land zu einer gewissen Stabilität und Befriedung geführt.
Das Menschenrecht auf Selbstbestimmung und Freiheit
Auch in Burma wenden sich engagierte Buddhisten mit gewaltfreien Mitteln gegen das herrschende Militärregime, das neben brutalen Menschenrechtsverletzungen am eigenen Volk seit Jahrzehnten einen Vernichtungsfeldzug gegen die nationalen Minderheiten der Mon, Shan und Karen betreibt. Ende der achtziger Jahre weigerten sich zahlreiche Mönche in der buddhistischen Hochburg Mandalay, von den herrschenden Militärs und deren Familien Almosengaben anzunehmen. Das Militär antwortete darauf mit einem Feldzug gegen die Mönche, was wiederum den Aufstand der Bevölkerung zur Folge hatte. Aung San Suu Kyi, die Tochter des "Vaters der Nation", General Aung San wurde mit ihrer von Buddha und Gandhi beeinflussten, mutigen und konsequent gewaltfreien Haltung zur überragenden Leitfigur der Demokratiebewegung. 1992 erhielt sie dafür den Friedensnobelpreis. Nach einer vom Volk erzwungenen Wahl zur Präsidentin des Landes gewählt, verhindert das Militär nun seit 1989 Jahren gewaltsam die Amtsübernahme dieser hervorragenden Vertreterin des engagierten Buddhismus und hält sie unter Hausarrest. Seither ist die Kette der Unterdrückung nicht abgerissen, und noch immer sitzen über tausend Mönche und Bürger in Haft und gibt es ständig neue Repressionen.
Engagierter Buddhismus weltweit
Der engagierte Buddhismus hat sich inzwischen auch auf Amerika und Europa ausgeweitet und dort in vielfältigen kleinen Initiativen und Aktivitäten insbesondere im humanitären Bereich, in der Flüchtlings-hilfe (in Tibet, Indien, Burma, Kambodscha, Thailand), in der medizinischen und schulischen Versorgung in Asien aber auch im heimatlichen Umwelt- und Tierschutz, in hiesigen Sozialprojekten oder Friedens-initiativen bis zur Hospizbewegung manifestiert. Vor allem innerhalb des tibetischen Buddhismus im Westen gibt es eine Vielzahl an Gemeinschaften und Hilfsprojekten, die sich mit grossen Einsatz und Erfolg der unmittelbaren Nothilfe, der Aufbau- oder Entwicklungsarbeit, der Betreuung und Ausbildung von aus Tibet geflohenen Mönchen, Nonnen, Laien und Waisenkindern annehmen. Andere engagieren sich seit etlichen Jahren für eine Beendigung der politischen Unterdrückung und Unfreiheit in Tibet durch die chinesische Regierung. Mit dem Studium und der Aneignung des tibetischen Buddhismus durch zahlreiche westliche Menschen wird ohnehin ein bedeutender Beitrag zur Rettung der tibetischen Kultur geleistet.
Um alle diese Aktivitäten zusammenzuführen, verstärkt zu fördern und mit anderen humanitären Bewegungen oder religiösen Traditionen in Kontakt zu bringen, wurde 1989 in einem thailändischen Kloster das International Network of Engaged Buddhists (INEB) gegründet. Es hat seinen Sitz in Bangkok, ist inzwischen in über 30 Ländern der Erde vertreten und ermöglicht über weltweite Vernetzung, auf internationalen Konferenzen und in spezifischen Workshops einen Erfahrungsaustausch aller, die sich dem Anliegen des engagierten Buddhismus verbunden fühlen. Drei prominente Vertreter des Buddhismus haben dafür die Schirmherrschaft übernommen, für den Theravada Buddhadasa Bhikkhu aus Thailand, für den Mahayana der im französichen Exil lebende vietnamesische Dharmalehrer Thich Nhat Hanh und für den tibetischen Buddhismus S.H. der 14. Dalai Lama. Zu den Mitgründern gehört ausserdem die bereits 10 Jahre zuvor in den USA ins Leben gerufene Buddhist Peace Fellowship (BPF). So stellt der engagierte Buddhismus heute eine weltweite, global-vernetze Bewegung dar.
Der engagierte Buddhismus umfaßt ein breites Spektrum verschiedener Bewegungen, die jedoch um ein gemeinsames Anliegen zentriert sind: In einer Welt voller Gewalt, Krieg und Unrecht ist die eigene Suche nach Erleuchtung aufs engste mit dem Streben nach Aufhebung des Leidens und der Befreiung aller von Gier, Hass und Verblendung verknüpft. Darum ist es unumgänglich, soziale Verhältnisse zu kritisieren und zu verändern, die selbstverursachtes Leid erzeugen. Eine friedlichere und gerechtere Welt sowie bessere Lebensverhältnisse für alle Wesen bieten auch eine weit bessere Grundlage für die Verwirklichung spiritueller Lebensziele und existentieller Befreiung.
Copyright © Buddhanetz [Stand: Dezember 2005]
Rückzug von der Welt, Entsagung von Besitz und sinnlicher Genüsse, rasierter Kopf und Almosenschale, jahrelange Meditation in der Abgeschiedenheit einsamer Höhlen - solche und ähnliche Stereotype bestimmen das Bild buddhistischen Lebens in Asien. Der Buddhismus hat zweifellos diese weltabgewandte, der Selbsterkenntnis und Überwindung von Anhaftung gewidmete Seite, aber er hat nicht nur diese. Thailändische Mönche, die sich für den Schutz des tropischen Waldes einsetzen; taiwanesische Buddhisten, die Millionen an Hilfsgelder für Tsunami-Opfer in Sri Lanka sammeln oder in Afrika Krankenhäuser und Sterbehospize errichten; buddhistische Mönche und Laien, die Friedensmärsche in Kambodscha durchführen; japanische Buddhisten, die sich um die Einhaltung der Menschenrechte in Burma bemühen; tibetische Nonnen, die Aktionen des gewaltlosen Widerstands gegen die Unterdrückung Tibets durch die chinesische Regierung praktizieren - sie und viele andere repräsentieren die weltzugewandte, sozialengagierte Seite des Buddhismus, die im Westen zumeist völlig übersehen wird.
Kein Zweifel, der Erleuchtungspfad des Buddha ist vom Ansatz wie vom Anspruch her ein Weg der Selbstbefreiung, den letztlich jeder nur alleine und selbstverantwortlich gehen kann. Er ist ein Weg des Loslassens von Anhaftung an unbeständige Dinge, Ziele und Konzepte und der Befreiung von allem selbstverursachten Leid (nirvana). Aber Buddha Sakyamuni, der vor über 2500 Jahren den buddhistischen Weg begründete, lehrte, daß es das vermeintliche, einzelne, beständige, isolierte Ich, das befreit werden soll oder will, letztlich nicht gibt. Die Befreiung besteht stattdessen gerade in der Überwindung der Vorstellung eines Ichs, das aus sich und für sich und vom anderen getrennt existiert. Sie besteht in der Einsicht, dass wir in Wahrheit mit allem und allen (Menschen, Wesen und Dingen) zutiefst verbunden sind. Und das bedeutet, daß der Weg des Buddha zwar immer bei uns selbst beginnen muss aber nicht bei uns selbst enden kann, sondern nur in der Befreiung und im Erwachen aller. Der ernsthaft praktizierte Prozess des Erwachens drückt sich in spontaner Entfaltung von unparteischer Liebe (metta) und unbegrenztem Mitgefühl (karuna) aus. In bewusster Alltagsübung nehmen diese geistigen Qualitäten das Ziel des Weges vorweg und verwirklichen es zugleich.
Der Weg des Bodhisattva
Buddha selbst ist Vorbild hierfür und zeigte in seinem Handeln, daß Buddhismus letztlich immer engagierter Buddhismus ist. Denn nach Gotama Buddhas grossem Erwachen fasste er nicht den Entschluss, sich nun entgültig aus allem Weltlichen zu lösen und ins Nirvana einzutreten, sondern er begann eine 45 Jahre währende Tätigkeit als Lehrer, Heiler, Helfer, Aufklärer und Befreier zahlreicher suchender und leidender Menschen im damaligen Indien. Seine Lehren enthalten in den "Vier edlen Wahrheiten", im "Edlen achtfachen Pfad", in den 5 ethischen Grundprinzipien (pancasila) und in vielem anderen eine klare Orientierung auf heilsames Wirken gegenüber sich selbst und Anderen und innerhalb der Gesellschaft und der Natur. Darüber hinaus gibt der Buddha in den überlieferten Lehrreden, wie auch in den Lebensregeln für die Mönche und Nonnen zahlreiche Hinweise darauf, wie die sozialen Verhältnisse in den unterschiedlichsten Bereichen einen heilsameren Charakter bekommen könnten. Insbesondere bekundet der Buddha immer wieder seine konsequente Ablehnung jeder Gewalt und Intoleranz, seine Zurückweisung des brahmanischen Kastensystems, die grundsätzliche Gleichwertigkeit und gleiche geistige Potentialiät aller Menschen (Buddha-Natur), sowie unsere untrennbare Verbundenheit mit allen lebenden Wesen.
Der wohltätige Monarch
Mit der Ausbreitung des Buddhismus beginnt auch die Geschichte des gesellschaftlich, ja politisch engagierten Buddhismus und mit dem zum Buddhismus übergetretenen, indischen Kaiser Asoka (3. Jahrhundert vor Chr.) beginnt die Geschichte des Buddhismus als eine ganze Völker, Staaten und Kulturen prägende Religion. Öffentliche Wohlfahrt, Spitäler für Arme, Alte und Kranke, gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums sowie eine Gerichtsbarkeit, die weniger auf Strafe und mehr auf die Vermeidung von Verbrechen und die Besserung des Straftäters zielt, sind einige der Merkmale des von Asoka errichteten, ersten Sozialstaats der Geschichte. Mit Asoka verwarf auch erstmals ein Herrscher den Krieg als Instrument der Politik. Er legte großen Nachdruck auf die ethische Erziehung der Menschen und sorgte für den Schutz und die Anerkennung aller vorhandenen Religionen. In der Staatsverwaltung förderte er politische Dezentralisierung und die kommunale Selbstverwaltung. In wirtschaftlicher Hinsicht bemühte er sich um die Förderung der Wohlfahrt für breite Bevölkerungschichten durch die Minderung der Steuerlasten bei gleichzeitiger Förderung der Eigeninitiative von Bauern und Händlern (Staatskredite). Er erlies ein Verbot des Tötens der (Milch und Dung gebenden) Rinder (was in Indien bis heute gilt), sowie zahlreiche Maßnahmen zum Schutz von Bäumen und lebenswichtigen Umweltbedingungen.
Mahayana – die Ausbreitung des Buddhismus in Asien
500 Jahre nach Asoka ist der bedeutende südindische Philosoph Nagarjuna mit seinem Buch "Juwelen-kranz der königlichen Ratschläge" ein weiterer Meilenstein buddhistischer Sozialethik. Nagarjuna - später als Begründer des Mahayana-Buddhismus gesehen - sieht in der Transformation der eigenen Persönlichkeit ("Einsicht in die Leerheit des Geistes") das Fundament buddhistischer Ethik sozialen Handelns. Ebenfalls grundlegend ist für Nagarjuna das Prinzip der Gewaltlosigkeit. Wir sollen nicht in Hass und Fanatismus verfallen und nicht der Versuchung von Macht und Eigentum erliegen. Weil Gewalt bloß neue Gewalt schafft, lehnt Nagarjuna entschieden die Todesstrafe ab und fordert stattdessen - vor 2000 Jahren bereits - Rehabilitationsmaßnahmen für Strafgefangene. Wie Asoka plädiert er für öffentliche Wohlfahrt, wobei seine Sorge gleichermaßen menschlichen wie nicht-menschlichen Lebensformen gilt.
Die Ausbreitung des Buddhismus nach China und ganz Ostasien in der Gestalt des dem Bodhisattva-Ideal besonders verpflichteten Mahayana-Buddhismus – noch verstärkt durch den diesseitigen Pragmatismus, wie er der chinesischen Kultur eigen ist – ließ den Buddhismus auch in China eine breite soziale und gesellschaftliche Wirksamkeit entfalten. Während der Periode der 3-Reiche (ca. 200-600 n.Chr.) und der Tang-Dynastie (ca. 600-900 n.Chr.) - Zeiten starker sozialer und politischer Unruhe - gelangte der Buddhismus in China zu seiner größten Blüte und Ausbreitung, insbesondere in der Form des Chan (Zen). Die buddhistischen Tempel und Klöster jener Zeit zeichneten sich durch eine rege sozial-engagierte Tätigkeit aus. Es wird berichtet, daß Klöster an verarmte Bauern zinslose Kredite ausgaben und Krankenhospize sowie Schutzhäuser für Verfolgte und Obdachlose errichteten ließen. Ausserdem waren die Buddhisten sehr kreativ in der Entwicklung neuer Heilmittel und Therapien, um den bis dahin grossen Anteil an Azneimitteln aus tierischen Bestandteilen abzuschaffen.
Sozial engagierter Buddhismus in Asien war also nicht, wie lange besonders von christlicher Seite behauptet und verbreitet, dort völlig unbekannt und - wenn vorhanden - von christlichen Missionaren eingeführt, sondern war immer schon zu finden, ging allerdings gerade in den Zeiten des europäischen Kolonialismus, die den Buddhismus in fast ganz Asien in eine schwere Krise stürzten, sehr stark zurück. Bezeichnenderweise war das breite Wiedererwachen des Buddhismus in Asien nach dem Ende des offizellen Kolonialismus sehr eng mit einem ausgeprägten, neuen sozialen und politischen Engagement von Buddhisten verbunden. In dieser Zeit kam es sogar zu unterschiedlichen Versuchen einer sozialpolitischen Synthese von Buddhismus und Marxismus (Sri Lanka, Burma, Thailand, Laos, Vietnam, Kambodscha, China, Korea, Mongolei), die alle auf tragische Weise scheiterten.
Der Theravada - heutiger Motor des engagierten Buddhismus
Der heutige engagierte Buddhismus in Asien bietet das Bild vielfältiger und breitgefächerter Bewegungen, die das buddhistische Anliegen der existentiellen Befreiung mit dem Engagement für eine humane, gewaltfreie und soziale Lebensordnung sowie den Schutz der natürlichen Lebensumwelt verbinden. Vor allem in Thailand zeigt der engagierte Buddhismus eine ausgeprägte Gestalt. Hier sind Buddhisten in vielfältige soziale und ökologische Aktivitäten involviert. So gibt es im ländlichen Raum etliche buddhistische Gemeinschaften, die gemeinsam nach ökologischen Prinzipien ein Stück Erde bewirtschaften, lokales Handwerk betreiben und in erster Linie von den Dingen leben, die sie durch ihrer eigenen Hände Arbeit erzeugen. Einige solcher selbstorganisierten und selbstgenügsamen Gemeinschaften existieren schon seit etlichen Jahren. Das spirituelle Ziel wird mit einem Leben in Einfachheit und Bescheidenheit verbunden, wie es einst Buddha vorgelebt hatte und in Asien immer Tradition war.
Eine breite Bewegung für alternative Entwicklungsmodelle wurde durch eine Gruppe aufgeschlossen und kritisch denkender Mönche, die sog. "Development monks" (Entwicklungsmönche) vorangebracht. Angesichts der verheerenden Auswirkungen der über Asien hinwegrollenden, westlichen Konsum-, Medien- und Industriekultur sind es in wachsendem Maße auch Mönche und Nonnen (Maeji), die sich ihrer Verantwortung bewusst werden und der leidhaften Folgen annehmen. Besonders bekannt wurden in den letzten Jahren Klöster, die sich intensiv und selbstlos um HIV-infizierte Kranke und Sterbende oder um Drogenabhängige aus aller Welt kümmern. Als Thailand Mitte der 90er Jahre schwer von der wirtschaftlichen "Asienkrise" betroffen war, organisierten Tempel und Klöstern im ganzen Land kostenloses Essen für die zahlreich gewordenen Arbeits- und Obdachlosen. Und viele westliche Touristen, die von den Folgen des Tsunami an Weihnachten 2004 betroffen waren, lernten mit grosser Dankbarkeit die enorme Hilfsbereitschaft und Offenheit der buddhistischen Klöster und Laien in Thailand oder in Sri Lanka kennen.
Es sind vor allem thailändische Mönche und Laien, die als prominente Vertreter dem engagierten Buddhismus prägende, weit über Asien hinaus reichende Gestalt verliehen haben. Der hochangesehene Abt und Dharmalehrer Buddhadasa Bhikkhu traf mit seinen Konzept eines Dhamma-Sozialismus in Ost und West auf breites Interesse. Ajahn Buddhadasa wandte sich mutig und offen gegen den offiziellen Staats-Buddhismus im Lande, dem er ein Verharren in religiösen Floskeln und sinnentleerten Ritualen vorwarf womit er sich von den wirklichen Sorgen und Leiden der Menschen weit entfernt habe. In den letzten Jahren ist ein anderer prominenter Mönch und Dhammalehrer als herausragender Theoretiker und Lehrer für engagierten Buddhismus hervorgetreten, Phra Payutto. Zwar selber von starker Krankheit heimgesucht, hat er in wenigen Jahren ein umfassendes Werk an Schriften zu fast allen wichtigen Fragen moderner Gesellschaften und der menschheitlichen Zukunft vorgelegt; Schriften zu Buddhismus und Ökonomie, Buddhismus und Wissenschaft, Buddhismus und Erziehung usw. Für seinen Beitrag "Buddhist solutions for the twenty-first century" (Buddhistische Lösungen für das 21. Jahrhundert) erhielt er den Friedenspreis der UNESCO.
Nach dem weltweit berühmtesten Repräsentanten des engagierten Buddhismus, S.H. dem Dalai Lama, dem Oberhaupt des tibetischen Buddhismus, und dem vietnamesischen Mönch, Friedensaktivist und Buchautor Thich Nhat Hanh, gilt in Asien vor allem der 1997 mit der Verleihung des alternativen Nobelpreises ausgezeichnete thailändische Professor für Sozialwissenschaft Sulak Sivaraksa als der Vordenker für engagierten Buddhismus. Sulak wendet sich gegen die Übernahme westlicher Entwicklungsmodelle und Maßstäbe auf die "Entwicklung" der Länder in der Dritten Welt. Mit seiner Kritik am oberflächlichen, konsumfixierten Lebensstil sowie den Versuchen, diesen Lebensstil durch Schlagworte wie "Globalisierung" der ganzen Welt aufzuzwingen, hat Sulak gleichzeitig ein alternatives Entwicklungsmodell skizziert, das sich auf lokale Demokratie und Selbstversorgung sowie einen spirituell ausgerichteten Lebensstil gründet. Sulak ist heute der führende Gesellschaftskritiker seines Landes und der Sprecher der gewaltfreien Demokratie- und Ökologiebewegung. Internationale Bedeutung gewann Ajahn Sulak schliesslich durch das von ihm 1989 initiierte International Network of Engaged Buddhists (INEB), welches den engagierten Buddhismus in Asien auf eine neue Ebene hob und mittlerweile zu einer globalen Bewegung werden liess.
Sarvodaya und Tzu Chi - Engagement für die Armen
In Sri Lanka hat 1958 die Sarvodaya-Shramadana Bewegung ihren Ausgangspunkt genommen, die später auch auf Indien und andere Länder übergriff und bis heute einer der einflußreichsten Basisbewegungen des engagierten Buddhismus bildet. Sarvodaya Shramadana bedeutet wörtlich "Wohlfahrt und Erwachen aller". A.Y. Ariyaratne, ein junger Lehrer und Schüler Gandhis, begann in den fünfziger Jahren gemeinsam mit seinen Schülern in ärmlichen Gebieten Arbeitsferien zu veranstalten. Städtische Schüler bekamen so erstmals in ihrem Leben die Gelegenheit, mit Bauern und anderen Leuten vom Land zusammenzukommen und deren Sorgen und Nöte zu verstehen. Schnell folgten weitere Schulen und Bildungseinrichtungen diesem Beispiel. Jugendliche zogen freiwillig aufs Land, um Straßen und Bewässerungsanlagen zu errichten, halfen beim Aufbau von Kindergärten und landwirtschaftlichen Kooperativen, beim Betrieb von Dorfküchen ebenso wie bei der Entwicklung lokaler Handwerke. Innerhalb weniger Jahrzehnte entstand auf diese Weise eine basisdemokratische Entwicklungsbewegung, die heute ca. 10.000 Dörfer umfasst und deren beispielgebender Funke inzwischen auch in anderen Ländern zündete. Sarvodaya war auch in herausragender Weise darum bemüht, den jahrzehntelangen blutigen und grausamen Konflikt zwischen der tamilischen Separatismusbewegung und der singhalischen Regierung zu beenden. Der nunmehr geschlossene Waffenstillstand ist in hohem Masse Verdienst dieser Bewegung.
Ein Beispiel für engagierten Buddhismus in der heutigen Mahayana-Tradition ist die buddhistische Nonne Chen Yen. In Taiwan und anderen asiatischen Ländern geniesst sie große Verehrung und wird dort mit Mutter Theresa verglichen. Nachdem sie sich im Alter von 23 Jahren zum Leben als Nonne entschlossen hatte, lebte sie mit einer anderen Nonne viele Jahre in einer ärmlichen kleinen Hütte am Rand einer Stadt. Mit der Not der von den eingewanderten Chinesen diskriminierten Ureinwohner Taiwans konfrontiert, begann sie Mitte der sechziger Jahre für diese aktive Hilfe zu leisten. Unter ihren Schülern und Nachbarn warb sie dafür, täglich ein paar Münzen in ein Bambusrohr zu werfen. Mit dem so gesammelten Kleingeld versorgten die Nonnen - ungeachtet aller ethnischen Differenzen - die Kranken, Notleidenden und Sterbenden in ihrer Umgebung. Bald folgten auch andere Menschen diesem Beispiel tätigen Mitgefühls. So entstand die Buddhist Compassion Relief Tzu Chi Foundation, eine Bewegung, die enorm anwuchs und bald eigene Krankenhäuser, Ausbildungs- und Sozialeinrichtungen betrieb. Inzwischen ist die Tzu Chi Foundation längst über die Grenzen Taiwans hinausgewachsen und - unterstützt von 4 Millionen Mitgliedern - heute insbesondere in Indien, Indonesien und Bangladesh und selbst in Afrika und Südamerika aktiv.
Ahimsa – Gewaltlosigkeit und Versöhnung
Ahimsa heisst in Sanskrit Gewaltlosigkeit. Ahimsa steht jedoch nicht nur für die Vermeidung kriegerischer Mittel zur Lösung von Konflikten, sondern beginnt mit der Suche nach friedlichen und harmonischen Formen des Zusammenlebens in der Familie, bei der Arbeit und im täglichen Leben. In kaum einem anderen Land drang in den letzten Jahrzehnten politische Gewalt so tief in die Familien und Herzen der Menschen ein wie in Kambodscha. Nach dem Kriegsende für das von US-Bomben weithin zerstörte und traumatisierte Land sollen während der nun folgenden Schreckensherrschaft der Roten Khmer ca. 2 Mill. Menschen von eigenen Landsleuten in den "Killing Fields" auf brutale Weise umgebracht worden sein – weil sie zu langsam arbeiteten oder einfach weil sie eine Brille trugen. Nach der Vertreibung des Khmer Rouge durch die Vietnamesen folgte ein zwanzigjähriger Bürgerkrieg verfeindeter, jeweils nur über Teile des Landes herrschender Machtgruppen. Die lebensnotwendigen Reisfelder waren übersäht von Antipersonenminen, der Buddhismus und die Mönche und Nonnen waren fast ausgerottet. Nur Maha Ghosananda, der "Supreme Patriarch" des heutigen kambodschanischen Buddhismus und einige Dutzend Mönche hatten im Ausland überlebt. Seit Beginn der 90er Jahre führte Maha Ghosananda jedes Jahr mit Tausenden von Mönchen, Nonnen und Laien wochenlange Friedensmärsche durch das kriegszerstörte Land durch, um den orientierungslos gewordenen Menschen die Botschaft des Friedens, der Hoffnung und der Versöhnung zu bringen. Inzwischen haben die Bemühungen auch in diesem Land zu einer gewissen Stabilität und Befriedung geführt.
Das Menschenrecht auf Selbstbestimmung und Freiheit
Auch in Burma wenden sich engagierte Buddhisten mit gewaltfreien Mitteln gegen das herrschende Militärregime, das neben brutalen Menschenrechtsverletzungen am eigenen Volk seit Jahrzehnten einen Vernichtungsfeldzug gegen die nationalen Minderheiten der Mon, Shan und Karen betreibt. Ende der achtziger Jahre weigerten sich zahlreiche Mönche in der buddhistischen Hochburg Mandalay, von den herrschenden Militärs und deren Familien Almosengaben anzunehmen. Das Militär antwortete darauf mit einem Feldzug gegen die Mönche, was wiederum den Aufstand der Bevölkerung zur Folge hatte. Aung San Suu Kyi, die Tochter des "Vaters der Nation", General Aung San wurde mit ihrer von Buddha und Gandhi beeinflussten, mutigen und konsequent gewaltfreien Haltung zur überragenden Leitfigur der Demokratiebewegung. 1992 erhielt sie dafür den Friedensnobelpreis. Nach einer vom Volk erzwungenen Wahl zur Präsidentin des Landes gewählt, verhindert das Militär nun seit 1989 Jahren gewaltsam die Amtsübernahme dieser hervorragenden Vertreterin des engagierten Buddhismus und hält sie unter Hausarrest. Seither ist die Kette der Unterdrückung nicht abgerissen, und noch immer sitzen über tausend Mönche und Bürger in Haft und gibt es ständig neue Repressionen.
Engagierter Buddhismus weltweit
Der engagierte Buddhismus hat sich inzwischen auch auf Amerika und Europa ausgeweitet und dort in vielfältigen kleinen Initiativen und Aktivitäten insbesondere im humanitären Bereich, in der Flüchtlings-hilfe (in Tibet, Indien, Burma, Kambodscha, Thailand), in der medizinischen und schulischen Versorgung in Asien aber auch im heimatlichen Umwelt- und Tierschutz, in hiesigen Sozialprojekten oder Friedens-initiativen bis zur Hospizbewegung manifestiert. Vor allem innerhalb des tibetischen Buddhismus im Westen gibt es eine Vielzahl an Gemeinschaften und Hilfsprojekten, die sich mit grossen Einsatz und Erfolg der unmittelbaren Nothilfe, der Aufbau- oder Entwicklungsarbeit, der Betreuung und Ausbildung von aus Tibet geflohenen Mönchen, Nonnen, Laien und Waisenkindern annehmen. Andere engagieren sich seit etlichen Jahren für eine Beendigung der politischen Unterdrückung und Unfreiheit in Tibet durch die chinesische Regierung. Mit dem Studium und der Aneignung des tibetischen Buddhismus durch zahlreiche westliche Menschen wird ohnehin ein bedeutender Beitrag zur Rettung der tibetischen Kultur geleistet.
Um alle diese Aktivitäten zusammenzuführen, verstärkt zu fördern und mit anderen humanitären Bewegungen oder religiösen Traditionen in Kontakt zu bringen, wurde 1989 in einem thailändischen Kloster das International Network of Engaged Buddhists (INEB) gegründet. Es hat seinen Sitz in Bangkok, ist inzwischen in über 30 Ländern der Erde vertreten und ermöglicht über weltweite Vernetzung, auf internationalen Konferenzen und in spezifischen Workshops einen Erfahrungsaustausch aller, die sich dem Anliegen des engagierten Buddhismus verbunden fühlen. Drei prominente Vertreter des Buddhismus haben dafür die Schirmherrschaft übernommen, für den Theravada Buddhadasa Bhikkhu aus Thailand, für den Mahayana der im französichen Exil lebende vietnamesische Dharmalehrer Thich Nhat Hanh und für den tibetischen Buddhismus S.H. der 14. Dalai Lama. Zu den Mitgründern gehört ausserdem die bereits 10 Jahre zuvor in den USA ins Leben gerufene Buddhist Peace Fellowship (BPF). So stellt der engagierte Buddhismus heute eine weltweite, global-vernetze Bewegung dar.
Der engagierte Buddhismus umfaßt ein breites Spektrum verschiedener Bewegungen, die jedoch um ein gemeinsames Anliegen zentriert sind: In einer Welt voller Gewalt, Krieg und Unrecht ist die eigene Suche nach Erleuchtung aufs engste mit dem Streben nach Aufhebung des Leidens und der Befreiung aller von Gier, Hass und Verblendung verknüpft. Darum ist es unumgänglich, soziale Verhältnisse zu kritisieren und zu verändern, die selbstverursachtes Leid erzeugen. Eine friedlichere und gerechtere Welt sowie bessere Lebensverhältnisse für alle Wesen bieten auch eine weit bessere Grundlage für die Verwirklichung spiritueller Lebensziele und existentieller Befreiung.
Copyright © Buddhanetz [Stand: Dezember 2005]
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